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Keine Diskussion

■ Uns Uwe Seeler stellte sich den HSV-Mitgliedern vor Von Clemens Gerlach

Die später Gekommenen fanden nur schwer Platz. Über 300 Mitglieder der HSV-Förderabteilung hatten sich am Mittwoch abend ins Haus des Sports begeben, um „sich bereits vor der Jahreshauptversammlung am 27. November 1995 über die Vorstellungen und Ziele des Seeler-Teams persönlich zu informieren“, wie es in der Einladung zur „Diskussionsrunde“ geheißen hatte. „Ich will mal direkt hören, was los ist“, war von vielen Mitgliedern zu erfahren, „nicht aus den Medien.“

Die hatten im Vorfelde eifrig über die zukünftige Seelersche Führungscrew um den designierten Vizepräsidenten Volker Lange berichtet, auch den neu zu schaffenden neunköpfigen Aufsichtsrat mit dem Banker Udo Bandow an der Spitze ausführlich gewürdigt. Vielen Mitgliedern war trotz der PR-Kampagne nicht ausreichend klar, wer in Zukunft an der Seite von Uns Uwe den Verein mitlenken sollte: „Welcher ist denn der neben Uwe?“ Das Interesse war also vorhanden: die neuen Präsidiumsmitglieder – neben Lange noch Jürgen Engel und Harry Bähre – wollten erst einmal beschnuppert sein.

Die Vorstellungsrunde geriet auch sehr harmonisch. Lange präsentierte sich als „selbständiger Kaufmann“, der aus Liebe zum HSV in Zukunft beruflich kürzer treten wolle. Höflicher Applaus. Der Schatzmeister in spe, Jürgen Engel, wurde persönlicher: „Ich bin in erster Linie ein Freund von Uwe.“ Das reichte, um zu wissen, daß er ein Guter ist – mehr Applaus. Harry Bähre mußte sich nicht groß bekanntmachen. Schon seit Jahrzehnten ist der „Intrigant und Minenleger“, so der ehemalige Trainer Benno Möhlmann über den amtierenden Rechnungsprüfer, im Verein aktiv. Stiller Applaus.

Und Uwe? Gehört zur Allgemeinbildung, fast jeder kann dessen biographische Daten herunterbeten. Riesenapplaus, schon bevor der Dicke aus dem Stegreif eine zehnminütige Rede hielt, die Gerd Hein vom Amateurvorstand „phantastisch“ fand und Lange nicht geringer schätzen wollte. In „glänzender Weise“ habe Uwe – so dürfen ihn alle nennen, die es gut mit ihm, also dem HSV, meinen – dargestellt, um was es gehe. Kurz: „Das Wirtschaftsunternehmen HSV“ müsse wieder nach oben. Die frommen Wünsche und Versprechungen halt, die auch anderswo immer wieder gerne gehört werden. Es folgte der dollste Applaus des Abends.

Danach wurde die Stimmung kontinuierlich schlechter, als sich ein Mitglied – nach 45 Minuten Frontalunterricht – erkundigte, ob die Veranstaltung eine „echte Diskussion“ sei. „Selbstverständlich“, kam es vom Podium, „Ihre Fragen sind unsere.“ Der Mittvierziger stellte ersteinmal seine eigene: „Wofür brauchen wir einen Aufsichtsrat, bei VW hat der ja kläglich versagt?“ Der sei gut für die Kontrolle des Vorstands, sagte Lange. „Wer kommt da rein?“, wagte sich ein anderes Mitglied vor, schließlich würden sich die zu Kontrollierenden die Kontrolleure selber aussuchen. „Sachkompetenz ist entscheidend, wir wollen keine Ja-Sager, die niederknien, wenn Uwe in den Raum kommt“, versuchte Lange die Diskussion in sichere Bahnen zu lenken. Vergeblich.

„Wo bleiben die Mitgliederrechte, wenn der Aufsichtsrat den Präsidenten wählt?“, ließ ein dritter nicht locker. Noch ehe Lange antworten konnte, ging Uwe – mit knallroter Birne – dazwischen, fuchtelte mit seinem Zeigefinger durch die Luft und polterte: „Wissen Sie, ich bin nicht bereit, darüber zu diskutieren.“ Man brauche einen Aufsichtsrat, alles andere sei nicht „mehr zeitgemäß“. Basta. Kaum Applaus, die Mitglieder schwiegen betreten, keiner wagte ein Widerwort. Nach anderthalb Stunden war die „Diskussion“ beendet.

HSV – Dortmund, heute um 20 Uhr

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