Notstand in den Klassenzimmern

■ In den Schulen fällt bis zu einem Siebtel des Unterrichts aus / Vertretungen werden nicht eingestellt / GEW kritisiert Einstellungen des Landesschulamtes

An den Berliner Schulen herrscht Unterrichtsnotstand. Noch nie sei soviel Unterricht ausgefallen wie zur Zeit, und noch nie sei es so schwer gewesen, Vertretungslehrer zu bekommen, kritisierte gestern die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nach Schätzungen der GEW fallen 13 bis 15 Prozent des Unterrichts aus, weil für langfristig erkrankte Kollegen keine Vertretungen eingestellt werden können. Rechne man diesen Unterrichtsausfall auf die gesamte „Schulkarriere“ eines Schülers hoch, so hätte er mehr als ein Jahr lang unterrichtsfrei, so Laube.

In der Grunewald-Grundschule im Bezirk Wilmersdorf fehlt zum Beispiel in einer ersten Klasse seit den Herbstferien die Klassenlehrerin: Vier Stunden in der Woche und der Förderunterricht fallen aus. In den Schulen herrsche ein Mißstand, der langsam zum Himmel schreie, klagte der Schulleiter einer anderen Grundschule über die nicht mehr zu stopfenden Unterrichtslöcher. Im Steglitzer Beethoven-Gymnasium fehlen seit Schuljahresbeginn 41 Stunden Unterricht die Woche, die nicht mehr vertreten werden können. „Wir jonglieren wie die Ballkünstler, um die Löcher zu stopfen“, doch in vielen Fällen ließe sich einfach nichts mehr machen. Förder- und Teilungsstunden seien gestrichen, die Mehrarbeit für die Kollegen habe die tolerierbare Grenze erreicht. Was bleibe, sei die Hoffnung, daß sich bald etwas ändere, so die Bilanz eines Grundschul- Schulleiters.

Die Vorsitzende des Landesschulbeirates, Irmgard Franke- Dressler, bestätigte gestern den Notstand an den Berliner Schulen. Was an Beispielen von der Gewerkschaft zusammengetragen worden sei, sei wirklich nur die Spitze des Eisberges. Grund für diese Misere seien offenbar „eklantante Mängel“ im zentralen Einstellungs- und Ranglistenverfahren des Landesschulamtes (LSA), kritisierte auch der Wilmersdorfer Personalratsvorsitzende, Volker Suhr, die Behörde.

Es gebe zur Zeit einfach keine Grundschullehrer mehr, die überhaupt vermittelt werden könnten, räumt Landesschulamtssprecher Andreas Moegelin ein. „Absoluter Quatsch“, konterte der GEW- Vorsitzende. Es gebe genügend arbeitslose Lehrer oder frischgebackene Lehramtsanwärter, die auf eine Stelle warten. Das Landesschulamt sei einfach nicht in der Lage, die Einstellungen organisatorisch zu bewältigen. Das liege nicht an der Behörde, wehrte sich Moegelin. „Wir warten schlichtweg auf die neuen Lehramtsanwärter.“ Es sei ja schön und gut, wenn die langersehnte Vertretung bald käme. Der Engpaß sei jedoch hausgemacht und liege an der Struktur des Landesschulamtes, so Personalrat Volker Suhr. Viele Verzögerungen bei der Einstellung von Lehrern seien vor allem auf Einwände von Personalräten und Frauenvertreterinnen zurückzuführen, konterte Landesschulamtssprecher Moegelin den Vorwurf.

Für die langfristig fehlenden Lehrer fordert die GEW jetzt die Erhöhung der Vertretungsmittel, den schnellen Abschluß von Teilzeitverträgen und Neueinstellungen. Außerdem müßten die Entscheidungsstrukturen vom Landesschulamt auf die bezirklichen Außenstellen verlagert werden, um die Bürgernähe zu sichern. Michaela Eck