: Der Trick-Tick
■ Die Fernsehwelt erlebt einen enormen Zeichentrickboom
Seit auch in Europa die ganz jungen TV-ZuschauerInnen ihre eigenen Fernsehkanäle haben, kommen Zeichentrickstudios rund um den Globus mit der Arbeit kaum noch nach; vermutlich werden derzeit weltweit mehr Zeichentrickserien produziert als je zuvor. Deutschland mit Nickelodeon und Super RTL (das ja trotz der Kooperation mit Disney eine Menge Material aus den RTL-Archiven recycelt) ist da keineswegs repräsentativ; in England zum Beispiel gibt es mit dem Disney-Channel jetzt den vierten Kinderkanal. Die drei anderen sind Turner's Cartoon Network, Nick UK (Nickelodeon) und The Children's Channel.
Erfreulicherweise (und entgegen den meisten Prognosen) ist der Animationsboom jedoch nicht gleichbedeutend mit einem generellen Qualitätsverlust, im Gegenteil; nicht nur Sender, auch Produktionsfirmen wollen sich offenbar mit hochwertiger Ware profilieren. Nur mit dieser lassen sich auch Länder wie England oder Frankreich erobern, in denen das Gros der TV-Animation aus eigenen Studios stammt. In Deutschland oder Spanien hingegen ist weit über 80 Prozent der Zeichentrickware importiert.
Natürlich gilt auch für Zeichentrickserien die Maxime, sich an bekannte Namen anzuhängen; das trifft auf die Spielfilmverlängerungen aus dem Hause Walt Disney („Simba, König der Löwen“ und „Pocahontas“) ebenso zu wie auf „Die phantastischen Reisen von Sindbad dem Seefahrer“ (vom Schöpfer der Zeichentrickserie „Ninja Turtles“, Fred Wolf) oder die „Abenteuer von Oliver Twist“.
Skepsis scheint hingegen im Fall von Sabans „Tenko and the Guardians of the Magic“ angebracht, einer Kombination gezeichneter Abenteuer und den Vorführungen einer leibhaftigen Prinzessin, die auch noch zaubern kann; ohnehin genießt die französisch-amerikanische Firma, die auch für die „Power Rangers“ verantwortlich ist, zumindest bei Pädagogen einen eher zweifelhaften Ruf.
Doch die Kombination von Realfilm und Zeichentrick liegt offenbar im Trend. Auch die Abenteuer des jüngsten Helden der Firma DIC mit dem bezeichnenden Namen „Action Man“ beginnen mit realen Filmbildern, die stets nach dem gleichen Schema funktionieren: Erst gibt es eine Verfolgungsjagd, vorzugsweise mit Rennbooten oder Hubschraubern, dann explodieren die feindlichen Fortbewegungsmittel. Erst nach zweieinhalb Minuten endet der Prolog und geht in die Animationsphase über. Die ist zwar längst nicht mehr so packend, doch dafür ist der animierte Held schauspielerisch wesentlich talentierter als sein lebendiges Alter ego. Robby London, kreativer Kopf bei DIC Entertainment, nennt diese Technik „Multimation“ und ist überzeugt, daß sie bei den „Kids“ prima ankomme, weil man in den Prologen immer wieder mit Stunts aufwarte, „die einen vom Stuhl hauen“.
Inhaltlich von ganz anderem Kaliber ist da eine Superheldin wie „Aeon Flux“, Hauptfigur der gleichnamigen MTV-Serie. Schon allein die Sendezeit (donnerstags, 23.30 Uhr) macht deutlich, daß dies sicherlich keine Kinderserie ist. Aeon Flux, gekleidet in Lederwäsche aus dem S/M-Milieu, ist Geheimagentin und muß sich mit allerlei unangenehmen Gegnern auseinandersetzen. Gewöhnungsbedürftig sind dabei vor allem der Zeichenstil, der überhaupt nichts gemein hat mit den naturalistischen Bildern der anderen Actionserien (oder gar den süßlichen Kleinkindproduktionen) und die mitunter recht drastische Art und Weise, mit der sich Aeon Flux des Gewürms und Getiers entledigt.
„Tabaluga“ ist noch mal ganz anders. Produziert von den australischen Yoram Gross Studios („Blinky Bill“) im Auftrag des ZDF, soll sich mit „Tabaluga“ nicht jener Fehler wiederholen, der einem durchschlagenden Erfolg von „Sauerkraut“ (beide Serien beruhen auf Figuren des populären Zeichners Helme Heine) im Weg stand. Denn obwohl die Kreativen auch meist besonders stolz darauf sind, wenn ihre Produktionen quer durch alle Altersgruppen funktionieren, so ist dies zumindest beim Verkauf von Serien eher ein Manko: Die Einkäufer von werbefinanzierten Fernsehsendern wissen, daß die Werbekundschaft ihre Produkte gern in berechenbaren Werbeblöcken sieht, will sagen: Zeichentrickserien, die allen gefallen, mögen tolle Quoten haben, aber vielleicht auch die falschen ZuschauerInnen. Die Lehre, die man aus „Sauerkraut“ gezogen hat, gereicht womöglich zum Nachteil von „Tabaluga“; die ersten Bilder, die das ZDF zeigen konnte, muteten jedenfalls recht kindgerecht an, während sich die Figur aus dem Rockmusical von Helme Heine und Peter Maffay eindeutig an ein älteres (durchaus auch erwachsenes Publikum) richtete.
Da aber auch für Zeichentrickproduktionen die Maxime gilt, daß sie immer nur so gut sind wie der Bösewicht, braucht man nicht alle Hoffnung fahren lassen: Arktos, der schöne Schneemann und Gegenspieler des knuddeligen Drachen Tabaluga, ist den Zeichnern sehr gut gelungen. Tilmann P. Gangloff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen