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„Sollen wir jetzt weinen?“

Nach dem Mord an Rabin machen Palästinenser eine neue Erfahrung: Der Tod des einstigen Knochenbrechers hat sie emotional getroffen  ■ Aus Jerusalem Karim El-Gawhary

Als ich Rabins Begräbnis im Fernsehen sah, hat mich das richtig berührt. Ich bin losgezogen, um andere Leute zu fragen, ob alles mit mir in Ordnung sei. Wie konnte ich auf einmal Sympathie für einen Mann empfinden, den ich nie gemocht habe? Zu meiner Überraschung waren die anderen genauso verwirrt.“

Die Erfahrungen Marwan Kafranis, eines palästinensischen Aktivisten im Gaza-Streifen, der Jahre seines Lebens in israelischen Gefängnissen verbracht hatte, sind kein Einzelfall. Die meisten Palästinenser fühlten sich in den Tagen nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin, als duschten sie abwechselnd heiß und kalt.

Nun war er tot, der Kriegsheld, der den Arabern 1967 ihre bisher größte Niederlage bereitet hatt. Der ehemalige Verteidigungsminister, den die Palästinenser mit seiner „Knochenbrecher-Politik“ und gezielten Todesschüssen auf palästinensische Aktivisten während des Aufstands gegen die israelischen Besatzer verbinden, lebt nicht mehr. „Während der Intifada war er für die Palästinenser das Symbol für die Besatzung schlechthin“, sagt Marwan Barghuti, einer der ranghöchsten Vertreter der Fatah, der größten Organisation innerhalb der PLO in der Westbank. „Aber“, fügt er in seiner Kanzlei in der Westbank-Stadt Ramallah hinzu, „wir müssen auch seine neue Rolle im Friedensprozeß in Betracht ziehen.“

Die Reaktion auf den palästinensischen Straßen war unerwartet ruhig. In den ersten Tagen klebten die meisten Palästinenser wie ihre israelischen Nachbarn vor den Fernsehschirmen oder am Radio, gebannt von den Ereignissen rund um die Ermordung. In den lokalen arabischen Zeitungen verschlangen sie jedes Detail über Mörder, Versagen der Bodyguards und die Trauerfeier.

Erst zwei Tage nach dem Mord nahm das Leben wieder seinen gewohnten Gang. In den palästinensisch autonomen Gebieten nahm die neue Selbstverwaltung wieder ihre Arbeit auf. Im besetzten Teil, etwa in Hebron, saßen die Leute wieder vor ihren Läden und blickten mißmutig auf die Jeeps des israelischen Militärs, die unentwegt durch die Gassen patrouillieren.

Die Trauerfeiern im israelischen Fernsehen – der palästinensische Philosophieprofessor Azmi Bischara vergleicht ihren Medienwert mit dem des O.-J.-Simpson- Prozesses in den USA – haben auch auf viele Palästinenser nicht ihre Wirkung verfehlt. „Das hat mich berührt, vielleicht weil ich auch Hebräisch verstehe, die singenden Kinder, die Trauerkerzen, die Enkelin Rabins und das Friedenslied, das Rabin noch kurz vor seinem Tod auf einer Veranstaltung der Peace-Now-Bewegung gesungen hatte“, erzählt Kafrani. Das alles sei ganz nach dem arabischen Geschmack für Melodramatik gewesen, meint das ehemalige Mitglied der Intifadaführung.

Azmi Bischara zieht aber auch gleich die Grenze für diese Gefühle: „Sollen wir jetzt weinen? – Natürlich können die Palästinenser nicht über den Tod ihres ehemals bittersten Feindes weinen.“

Daß die Palästinenser vollkommen vom Prozeß der Verarbeitung der Ermordnung Rabins ausgeschlossen blieben und auf die hinteren Sitzreihen zur Beobachtung verbannt wurden, zeigt einmal mehr die politische Realität des jüdischen Staates. In den unzähligen Talk-Shows des israelischen Fernsehens wurde kaum ein Palästinenser gesichtet. „Noch nie waren die Palästinenser so abhängig von den Ereignissen in der israelischen Gesellschaft, auf die sie keinerlei Einfluß haben“, sagt Bischara. „Das ist Apartheid. Wir sind keine Akteure, aber wir sind betroffen, ohne etwas beeinflussen zu können.“

Verärgert sind die meisten Palästinenser auch über die ersten israelischen Reaktionen. Aus Sicherheitsgründen ließ die israelische Armee und Polizei zunächst einmal den Gaza-Streifen und die Westbank abriegeln. „Das ist ihr spontaner Reflex. Sie kamen gar nicht auf die Idee, das mit den Siedlungen der radikalen Juden wie Kiryat Arba zu machen, obwohl die und nicht wir für den Mord an Rabin verantwortlich gemacht werden“, sagt Bischara.

Die größte Sorge vieler Palästinenser gilt jetzt dem Fortgang des Friedensprozesses und der Frage, was mit den extremistischen Siedlern passieren wird. „Wenn die jetzt sogar ihren eigenen Ministerpräsidenten umbringen, was werden sie dann mit uns machen, wenn sie losgelassen werden?“ Diese Frage hört man dieser Tage immer wieder. Lebhaft ist noch das Massaker in Hebron im Gedächtnis, bei dem ein Siedler vor fast zwei Jahren 29 Palästinenser in einer Moschee erschossen hatte. Viele zweifeln daran, ob der neue Ministerpräsident Schimon Peres nun die Zeichen der Zeit nutzt und gegen die rechten Extremisten vorgeht.

Auf den Friedensprozeß dagegen blicken einige optimistischer. Der Fatah-Vertreter Barghuti gibt sich zuversichtlich: „Die Leute wissen, daß dieser Prozeß eine in der Region etablierte Tatsache ist.“ Die ersten Signale von Peres, wie die unverzügliche Weiterführung des israelischen Rückzugs aus Teilen der Westbank und der Wunsch, die Verhandlungen mit Syrien wieder aufzunehmen, fanden weitgehende Zustimmung.

Daß die meisten Palästinenser nach der Ermordung Rabins keine großen Veränderungen erwarten, zeigt auch, daß sie wieder zur politischen Tagesordnung übergegangen sind. Im Moment sind die politischen Organisationen schon wieder damit beschäftigt, die am 20. Januar nächsten Jahres angesetzten ersten palästinensischen Wahlen zu diskutieren. Jetzt gilt es, vor allem für oppositionelle Parteien wie der islamistischen Hamas, die Teilnahmebedingungen an diesen Wahlen auszukungeln. Das ist wichtiger als die Frage, ob der israelische Ministerpräsident Rabin oder Peres heißt.

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