piwik no script img

Freiheit für 150 Mark brutto

Literatin, Sekretärin, Ladenmädchen. Die Neue Frau der Zwanziger hatte viele Gesichter, wenig Geld und kein Programm, aber sie wußte, was sie wollte. Ein Essayband nimmt sich ihrer an  ■ Von Andrea Kern

„Wir wurden Ärztinnen und Juristinnen und Journalistinnen und Ministerialbeamtinnen. Wir gingen in den Lebenskampf und bewährten uns, soweit man sich, geduldet halb und halb gehaßt, bewähren kann. Wo wir aber auftauchten, kurzhaarig und schlankbeinig, fuhren die Männer der älteren Generation zusammen und fragten: Was sind das für Geschöpfe? Wir antworteten: Die Neue Frau.“

Im Januar 1933 spricht die Schriftstellerin Gabriele Tergit von der Neuen Frau nur noch als einem Geschöpf aus der Vergangenheit. Ihre Tage sind tatsächlich gezählt. Mit der „Machtergreifung“ Hitlers bricht nicht nur die Weimarer Republik endgültig zusammen, mit ihr verschwindet ein Frauentyp, der über ein Jahrzehnt das Erscheinungsbild der Großstädte geprägt hat.

Es ist die Generation der um 1900 geborenen Frauen, die in den 20er Jahren das Korsett der wilhelminischen Wohlanständigkeit geschlossen abstreift und gegen Röcke eintauscht, die kaum übers Knie reichen, gegen Bubiköpfe, die den Nacken frei lassen, und eine Portion Selbstbewußtsein.

Die Neue Frau ist en vogue. Ihr Image beherrscht die Titelblätter sämtlicher Frauenzeitschriften der zwanziger Jahre. Und während die Frauenbewegung in ihr eine Art emanzipatorisches Ideal sieht, stilisiert sie die Werbeindustrie zur Identifikationsfigur schlechthin. Die Neue Frau ist sowohl das Dokument einer Befreiung vom bürgerlichen Rollenzwang als auch Resultat einer wirtschaftlichen und technischen Modernisierung. Denn die Neue Frau ist vor allem eins: Angestellte. Ohne den Einzug moderner Büromaschinen, Registrierkassen und Diktiergeräte in die moderne Arbeitswelt und eine expandierende Konsumgüterindustrie hätte es den neuen Frauentypus als Massenphänomen nicht gegeben. Die Frauen verlassen die Fabriken und Dienstbotenkammern und erobern den öffentlichen Raum: als Stenotypistin und Verkäuferin.

„Die typische Angestellte der Weimarer Republik“, so schreiben Maren Dorner und Katrin Völkner in ihrem Beitrag zu dem von Petra Bock und Katja Koblotz herausgegebenen Band „Neue Frauen zwischen den Zeiten“, „war nicht verheiratet und ungefähr 20 Jahre alt. Sie wohnte entweder bei ihren Eltern oder anderen Angehörigen und verdiente im Durchschnitt nur 150 Mark brutto im Monat.“ Das meiste Geld ging dabei für Kleider, Kosmetik und neue Strümpfe drauf. Über die Stränge schlagen konnte man damit nicht. Die neugewonnene Freiheit ist vor allem ein Versprechen. Ökonomisch realisiert ist sie nicht.

Es ist dieser einigermaßen nüchterne Blick auf die zwanziger Jahre, der es den 15 Autorinnen des Bandes ermöglicht hat, das facettenreiche Bild eines Frauentyps zu zeichnen, der in der Geschichtsschreibung bisweilen zum Klischeebild einer exzentrisch gekleideten Literatin verkommen ist, die den ganzen Tag im Romanischen Café sitzt und raucht.

Die Neue Frau gibt es nicht. Es gibt sie nur im Plural. Die Autorinnen haben diesen Gedanken zur Methode gemacht, indem sie ihre soziohistorischen Überlegungen und Analysen immer wieder durch die konkrete Rekonstruktion einzelner Frauenbiographien unterbrechen. Denn die Neuen Frauen prägt weder ein gemeinsames Ziel noch ein einheitliches Selbstverständnis. Was der einen ein kämpferisches Anliegen ist, ist für die andere einfach nur schick.

Die biographische Perspektive erlaubt es überdies, die Geschichte der Frauen nicht nur von den historischen Eckdaten her zu begreifen. Denn nach 1933 verschwindet das Phänomen der Neuen Frau – Frauen gab es weiterhin. Deren Reaktion auf die Diktatur in Deutschland ist dabei so verschieden wie ihre Lebensentwürfe zuvor. Während etwa der Journalistin Erika Mann nur die Emigration bleibt, entschließen sich andere zur Kollaboration. So setzt die Fliegerin Eli Beinhorn, einstmals Aushängeschild der Frauenbewegung, ihre Karriere während der NS-Zeit nahtlos fort.

Der Kulturkritiker Siegfried Kracauer hat den Frauen der Weimarer Republik einst eine grundsätzliche Ziel- und Orientierungslosigkeit attestiert. Die Autorinnen machen dagegen anhand zahlreicher Lebensläufe deutlich, daß das so nicht haltbar ist. Sie zeigen, daß die Neuen Frauen, obwohl ihnen allesamt ein ausgeprägtes politisches Bewußtsein fehlte, doch genau wußten, was und wohin sie wollten: zielstrebig nach oben.

Der Aufsatzband ist das beeindruckende Rechercheergebnis einer Arbeitsgruppe zum Teil noch junger Sozialwissenschaftlerinnen der FU. Selten kommt Wissenschaftsprosa so unangestrengt daher wie in diesen Texten. Wer sich für die Geschichte der Frauen im 20. Jahrhundert interessiert, für den ist dieser Band ein Muß.

Petra Bock und Katja Koblitz (Hrsg.): „Neue Frauen zwischen den Zeiten“. Berlin 1995, Edition Hentrich, 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen