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Mein Leben mit Neil

Ein halbes Jahrhundert Neil Young – Zeit für einen kritischen Blick auf seine Biographien  ■ Von Karl Wegmann

Der Mann feiert morgen seinen 50. Geburtstag – aber er wird immer jünger. Während andere Veteranen des Rockzirkus in immer größeren Abständen die ewig gleichen Platten machen und ihre Anhängerschaft allenfalls konstant halten können, nimmt Neil Young nun schon seit Jahren Trends vorweg, bringt pro Jahr mindestens ein neues Werk heraus, bei dem er sich von niemanden reinreden läßt, und geht mal eben mit den Teenager-Idolen von Pearl Jam auf Tour, deren Frontmann Eddie Vedder behauptet, während eines Neil- Young-Songs gezeugt worden zu sein.

Der alte Rocker kann sich wirklich alles erlauben, er darf hemmungslos sentimental sein oder eine Platte („Arc“) nur mit Gitarren-Feedbacks vollpacken, alle lieben ihn. Er ist eine Ikone und so anachronistisch, daß er in den neunziger Jahren wieder supermodern wirkt. Young ist der „Godfather of Grunge“, ebenso wie der „Uncle of Unplugged“ (Guitar World) oder schlicht und ergreifend der „Donnergott der Gitarre“ (Spiegel). Und wenn 45jährige Ex- Hippies eine wüste Diskussion vom Zaun brechen, die die beste Aufnahme von „Cortez the Killer“ zum Inhalt hat, dann können ihre Söhne kompetent mitstreiten – Neil Young verbindet Generationen. Wie konnte es soweit kommen?

David Downings Biographie „Neil Young – Ein Mann und seine Musik“ gibt keine Antwort, im Gegenteil. Schon beim Lesen des Klappentextes entsteht ein mulmiges Gefühl. „Er war anders“, heißt es da, und: „Er war keiner, der mit dem Strom schwamm.“ War? Ist der „Dreamer of Pictures“ etwa gestorben, und keiner hat's gemerkt, außer David Downing? Gesprochen hat Downing mit dem Meister nie, dafür hat er wild in einigen Archiven, besonders dem des Rolling Stone, gewühlt. Dazu bediente er sich noch ausgiebigst beim Broken Arrow, der Vierteljahresschrift der Neil Young Appreciation Society, des weltweit von Wales aus operierenden Neil- Young-Fanclubs.

Herausgekommen ist ein außerordentlich fades, leidenschaftloses Buch, in dem die altbekannten Stationen des Musikers lustlos abgehakt werden. Nachdem er konventionell anfängt – „Neil Young kam am 12.November 1945 im Toronto General Hospital als zweiter Sohn von Scott und Edna Young zur Welt“ –, macht er farblos weiter. Zwischendurch gibt's ermüdende Beschreibungen der einzelnen Platten und der Stücke, die darauf zu hören sind, was den Autor jedoch nicht daran hindert, an den Schluß des Buches eine lächerlich unvollständige Diskographie zu setzen.

Ein ganz anderes Kaliber ist dagegen Wolf Arnolds „Chrome Dreams“. Wenn man sich die Werbeanzeigen zu „Chrome Dreams“, die zur Zeit in diversen Musikzeitschriften zu finden sind, („Happy Birthday, Neil Young! Das Buch zum 50.“) und den Preis von stolzen 45 Mark anschaut, beschleicht einen das Gefühl, daß da jemand an dem neu entbrannten Rummel um den Star mitverdienen möchte. Ein paar alte Fakten hingerotzt und – zack – die schnelle Mark. Doch schon beim ersten Durchblättern stirbt dieses Gefühl einen schnellen Tod. Was da ins Auge sticht, sind eine Fülle von Abbildungen alter Musikmagazin-Titelblätter, seltener Plattencover, Tournee- und Filmplakate und Fotos. „Chrome Dreams“ ist aufgemacht wie ein Tagebuch. Neben netten Belanglosigkeiten („17.3.1992: Neil besucht ein Konzert von U2 im ,Garden‘ in Boston“) sind die Fakten gespickt mit Anekdoten, Zitaten von Kollegen und Auszügen der unterschiedlichsten internationalen Zeitungen und Zeitschriften. Arnold schreckt auch nicht davor zurück, jenes berühmt- berüchtigte Interview, das der Melody Maker am 7.9.85 veröffentlichte, und in dem Neil Young sich als Reagan-Fan outete, in großen Teilen nachzudrucken.

Dieses Interview („Ich bin für Reagan, wenn es um Rüstung geht und um die Möglichkeit, anderen Ländern wirklich entgegenzutreten, die freien Ländern gegenüber aggressiv sind“) kostete Young fast seine Reputation. Er brauchte Jahre, in denen er immer wieder erklärte: „Ich bin kein Falke, ich bin keiner, der in den Krieg ziehen und seine Muskeln spielen lassen will“, um bei seinen Fans den Eindruck, er sei zu den Rechten übergelaufen, wieder loszuwerden.

„Chrome Dreams“ ist eine Fleißarbeit, aber auch eine sehr ausführliche und amüsante Rockbiographie, mit viel Herzblut und ohne den kalten Chronistenblick geschrieben. Wir könnten jetzt noch besserwisserisch darauf hinweisen, daß das im Buch erwähnte zweite Konzert in der Deutschlandhalle am 19.10.82 ein Freikonzert war, eben weil Young das Video „Berlin Live“ drehen wollte, die Halle aber nicht vollbekam, oder uns darüber aufregen, daß der Wahnsinnsgig mit Crazy Horse am 11.5.87 im Berliner Tempodrom überhaupt nicht vorkommt, aber das lassen wir lieber und wenden uns anderen Fakten zu.

„Neil Young: The Rolling Stone Files“ beinhaltet sämtliche Artikel, Interviews und Plattenkritiken (bis einschließlich „Mirror Ball“), die das legendäre Musikmagazin seit 1967 zu Young veröffentlicht hat. Vieles kommt einem bekannt vor, bedienten sich doch scharenweise Journalisten und Biographen (siehe oben) beim Rolling Stone. Trotzdem ist es interessant, die Orginale noch einmal nachzulesen, und Schadenfreude kommt auf, wenn die Kritiker Platten erst völlig niedermachen und sie am Schluß, in der Jahresbestenliste des Magazins, an der Spitze stehen. Die „Rolling Stone Fakten“ sind in Österreich bei Hannibal erschienen, leider in einer holprigen Übersetzung und mit einem Haufen an Druckfehlern, für die dieser Verlag und seine Musikbücher bekannt sind.

Zweifellos das Beste, was bis heute über Neil Young geschrieben wurde, ist John Einarsons „Journey Through The Past – Die kanadischen Jahre“ (Orginal: „Don't Be Denied“). Der große Vorteil des Kanadiers Einarson gegenüber den anderen Biographen ist seine Freundschaft zu Young.

So hatte er nach mehreren ausführlichen Gesprächen mit dem Musiker selbst, seinen Eltern und frühen Freunden und Kollegen das Material für ein einfühlsames Porträt des jungen Neil beisammen, der nach Scheidung der Eltern, Umzug und Krankheit (Kinderlähmung) in der Musik etwas gefunden hatte, in dem er total aufgehen konnte. Neil Young, der seit 1966 in Kalifornien lebt, ist übrigens immer noch „stolz darauf, Kanadier zu sein“ und weigert sich bis heute, seine alte Staatsangehörigkeit aufzugeben.

Etwas für den ganz hartgesottenen Fan ist dagegen „Broken Arrow – eine Reise durch die Vergangenheit von Neil Young“. Das Buch im CD-Format aus dem Star Cluster Verlag enthält erstmals auf deutsch Artikel des gleichnamigen Fanzines der Neil Young Appreciation Society. Da gibt's dann, neben anderem, „persönliche Erinnerungen“ einzelner Clubmitglieder, einen Bericht über die legendären „Tonight's The Night“-Vorabpressungen (diese Aufnahme zu haben ist zwingend notwendig), 17 Seiten (!) über Kinderlähmung und bizarre Analysen von einzelnen Young- Versen. Beispiel: „I've seen the needle and the damage done / A little part of it in everyone – Ein kleiner Teil des Drogenabhängigen ist in jedem Menschen zu finden, oder könnte es heißen, in jeder Stadt gibt es ein wenig von dieser Drogenbedrohung?“

Wie gesagt, nur für kompromißlose Fans. Die anderen warten derweil auf die offizielle Live-CD der letzte Tour, die beim Abschlußkonzert in Dublin aufgenommen wurde und noch vor Weihnachten erscheinen soll. Ein mittelmäßiges Bootleg (aufgenommen auf dem Pukkelpop-Festival in Belgien) ist schon auf dem Markt.

Neil Young selbst ist längst wieder im Studio und nimmt wieder mit Crazy Horse auf. Die Platte soll Anfang nächsten Jahres 'rauskommen. Und zur Gerontologie hat der Meister auch mal was gesagt: „Alles wird älter, warum sollte ich nicht älter werden können, und warum sollte ich nicht weitermachen können? Ich kann älter werden und Rockmusik spielen, bis ich umfalle, oder nicht? Es gibt da keine Vorschrift.“

Richtig, Neil! Genau für diese Einstellung lieben wir dich.

David Downing: „Neil Young – Ein Mann und seine Musik“. Goldmann, 287 S., 20 DM.

Wolf Arnold: „Chrome Dreams“. Verlag Route 66, 312 S., 45 DM.

„Neil Young – Rolling Stone Fakten“, Hannibal Verlag, Wien, 340 S., 39,80 DM.

John Einarson: „Neil Young – Journey Through The Past“. Sonnentanz-Verlag, 230 S., 35 DM.

Alan Jenkins (Hrsg.) „Broken Arrow – Eine Reise durch die Vergangenheit von Neil Young“. Star Cluster Verlag, 305 S., Hardcover im Schuber, 29,80 DM.

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