: Die Opposition in Aserbaidschan ist ausgetrickst
■ Staatspräsident Alijew kann den Parlamentswahlen gelassen entgegensehen. Seine politischen Gegner sitzen im Gefängnis oder sind von der Wahl ausgeschlossen
Berlin (taz) – Was darf Satire? Im Ölland Aserbaidschan ist diese Frage jüngst ein für allemal beantwortet worden: auf keinen Fall den Unwillen des Präsidenten erregen. Für eine Karikatur, die ebendies getan hatte, muß der Chefredakteur der Zeitschrift Tschesme (Die Quelle) für fünf Jahre in den Knast, vier weitere Mitarbeiter des Magazins zwischen zwei und vier Jahre lang. Dieses Verfahren mag als Indiz dafür dienen, wie wenig Sinn der 73jährige Präsident des Landes, Gaidar Alijew, für Kritik hat. Auch für eine kritische parlamentarischen Opposition kann der Patriarch sich nicht begeistern. So kam es, daß im Vorfeld der an diesem Sonntag stattfindenden Parlamentswahlen unter den Parteien, die sich dem Votum der Wähler stellen dürfen, kräftig ausgesiebt wurde.
Jede Partei, die zur Wahl antreten wollte, mußte zwei Hürden überwinden. Die erste war die Zulassung zur Registrierung, die zweite die Zustimmung der zentralen Wahlkommission. Von den 21 Parteien, die sich um eine Registrierung bemühten, schafften nur zwölf die erste Hürde. Weitere vier wurden dann von der Wahlkommission aussortiert. Die verbleibenden acht Parteien unterstützen entweder den Präsidenten, wie die regierende Partei für die Freiheit Aserbaidschans, oder können Alijew kaum gefährlich werden. So haben denn vor wenigen Tagen auch die UNO und die OSZE, deren Mitglied Aserbaidschan ist, in einer gemeinsamen Erklärung die unfairen Praktiken kritisiert und sich beklagt, daß keine unabhängigen Beobachter die Gründe für die Parteiausschlüsse überprüfen durften.
Eine Delegation von Bündnis 90/ Die Grünen, die mit Vertretern der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial Ende August Aserbaidschan besuchte, legte kürzlich einen Bericht vor, in dem die von der OSZE beklagten „unfairen Praktiken“ genauer dargestellt werden. Für die Registrierung beziehungsweise für bereits zugelassene Parteien forderte das Justizministerium Listen mit sämtlichen Namen der Parteimitglieder an. Diese mußten auch ihre Arbeitsstellen angeben. Anhand der Listen wurden dann Mitglieder von Oppositionsparteien unter Druck gesetzt mit dem Ziel, ihren Namen streichen zu lassen. Leute, die sich weigerten zurückzuziehen, verloren oft ihren Job. Der Vorsitzende der oppositionellen „Einheitspartei“, Chadschi-Dschebrail Alisade, berichtete noch von einer anderen Variante staatlicher Überzeugungsarbeit. Bei etlichen Mitgliedern seiner Partei sei mitten in der Nacht die Polizei aufgetaucht, um nachzufragen, warum ihr Name auf der Parteiliste stehe und warum ihnen denn der Präsident nicht gefalle. Die auf diese Weise durcheinandergebrachten Registrierlisten dienten dann der Kommission als Ablehnungsgrund für die jeweilige Partei.
Dabei hätte Alijew diese Tricks wahrscheinlich gar nicht nötig. Der bereits zu Sowjetzeiten langjährige KP-Chef des Landes gilt dem überwiegenden Teil der Bevölkerung als Garant für ein Minimum an Stabilität und als einziger erfahrener Staatsmann, der in der Lage ist, bei der Ausbeutung der Ölquellen im Kaspischen Meer die Interessen Aserbaidschans zu wahren. Alijew, der 1993 selbst durch einen Putsch gegen den bislang einzigen durch Wahlen legitimierten Präsidenten Eltschibej an die Macht kam, hat nur mit Mühe und Not zwei weitere Putschversuche abwehren können. Im Umfeld dieser Putschversuche hat er rigoros alle möglichen Rivalen verhaften lassen. Menschrechtsgruppen in Baku geben die Zahl der politischen Gefangenen mit rund 500 an.
Die prominentesten sind der Putschist Surat Husejnow, der ursprünglich Alijew aus dem Exil zurückgeholt hatte und dann von ihm entmachtet wurde, sowie Aliakram Gummatow. Gummatow soll im Frühjahr dieses Jahres in Lenkoran, das an der Grenze zum Iran liegt, einen Umsturzversuch mit dem Ziel einer Sezession der Provinz angezettelt haben. Auch der frühere Verteidigungsminister Ragim Gasijew und der frühere Innenminister Iskander Gamidow sitzen hinter Gittern. Bei den beiden erstgenannten wurden gleich eine Reihe von Familienangehörigen mit verhaftet, um sie massiv unter Druck zu setzen. „Das Land schwebt zwischen Demokratie und Totalitarismus“, meint der Vorsitzende der Ende Oktober ebenfalls aus dem Rennen geworfenen größten Oppositionspartei, „Mussawat“.
Die meisten Aserbaidschaner erhoffen sich eine Veränderung der Lage aber weniger von Wahlen als vielmehr von den langersehnten und nun tatsächlich bald fließenden Einnahmen aus dem Ölverkauf. Nach jahrelangem Hin und Her hat Alijew vor wenigen Wochen die Interessen der westlichen Konzerne, die die Explorations-Konzession erworben haben, und die russischen Partizipationswünsche unter einen Hut bekommen. Jetzt kann die Ölförderung beginnen. Der damit verbundene wirtschaftliche Aufschwung wird vielleicht auch eine Lösung in dem Krieg um Berg-Karabach bringen. Der vor eineinhalb Jahren geschlossene Waffenstillstand wird zwar eingehalten, bisher ist aber noch keine Konfliktpartei zu einem politischen Kompromiß bereit. Das könnte sich ändern, wenn klar wird, daß ein neuerlicher Kriegsausbruch die Öleinnahmen gleich wieder in Frage stellen würde. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen