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Online-Datenkulis und Informationselite

Indien auf dem Weg zur Software-Macht: Sowohl mit einfachem Tippen wie auch mit komplizierter Software für High-Tech-Firmen stechen sie Informatiker im Westen aus  ■ Von Ingo Berghöfer

Die digitale Revolution frißt ihre Kinder. Informatiker und Software-Entwickler, die noch bis vor kurzem als Gewinner der heraufdämmernden Informationsgesellschaft galten, gehören zu den ersten Opfern globaler Verdrängungskämpfe um die Fleischtöpfe des Spätkapitalismus.

80 Jahre währte zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen dem Brühlschen Druck- und Pressehaus und dem Springer-Verlag in Heidelberg. Seit Generationen erledigte das mittelständische Familienunternehmen den anspruchsvollen Formelsatz für den Fachverlag, dessen Lehrbücher zum Pflichtpensum vieler Studenten gehören. Das Ende dieser Zusammenarbeit kam auf Raten.

Um die eigenen Bücher konkurrenzfähig zu halten, forderten die Heidelberger immer niedrigere Preise vom Brühlschen Haus. Um den größten Kunden zu halten, und damit die Arbeitsplätze zu sichern, hatte die hessische Druckerei Springer am Ende zum Selbstkostenpreis beliefert – vergebens. Der Verlag mit dem Roß läßt jetzt im Land der Heiligen Kühe setzen. Online via Satellit werden Manuskripte nach Indien übertragen und dort in druckfertige Vorlagen verwandelt. Reinhold Michels vom Springer-Verlag lobt die Qualität der Arbeit und die Termintreue der neuen Partner. Natürlich seien auch die Kosten günstiger. Wie günstig, will er aber nicht verraten. Indische EDV-Arbeiter arbeiten, da gehen die Schätzungen auseinander, für zehn bis 30 Prozent des Lohns ihrer deutschen Kollegen und sind diesen meist noch überlegen: 95 Prozent der indischen Software-Entwickler haben ein Ingenieurstudium absolviert, so Surya Kumar Bose, Chef einer EDV-Beratung für Großrechnerbetreiber, sie sind also mit den Problemen der praktischen Anwendung von Computersystemen in Betrieben vertraut. Das Heer der qualifizierten indischen Informatiker wächst jährlich um 10.000 Hochschulabsolventen.

Auch der Bildschirmkuli, der für 400 Mark im Monat in Neu Delhi für Swissair oder Lufthansa Buchungen checkt, ist selbst Scannern, den digitalen Lesemaschinen, überlegen – denn sie machen weniger Fehler und sind obendrein billiger. „Dort arbeiten Akademiker für Löhne, für die sie bei uns nicht mal Hiwis kriegen“, meint Dirk Matter von der Deutsch-Indischen Handelskammer in Düsseldorf.

Die indische Informationsindustrie wuchs in den vergangenen zehn Jahren um jährlich 40 Prozent. Rund 300 Software-Unternehmen mit mehr als 35.000 Fachkräften operieren nach Angaben des Indo-German Export Promotion Projekt (Igep) in Delhi derzeit auf den internationalen Märkten. Die meisten haben sich in den Steuerfreihandelszonen um Bombay, Madras, Delhi, Poona und Bangalore angesiedelt. Seit drei Jahren fördert die indische Regierung massiv die Ansiedlung westlicher Firmen in den neuen Boomtowns. Texas Instruments, Hewlett-Packard, IBM, aber auch Siemens und die Deutsche Bank haben bereits ihre Dependancen in der früheren Kronkolonie. Die Zeiten, in denen ein gebrauchter Commodore 64 auf dem Subkontinent fünfmal teurer war als in den USA, sind endgültig vorbei.

Das in 950 Meter Höhe gelegene „Silicon-Plateau“ Bangalore ist die Hauptstadt des indischen Wirtschaftswunders. Aber der Vergleich mit Kalifornien hinkt, eine eigenständige Chipentwicklung gibt es dort nicht. Indien führte 1994 nach Igep-Angaben Software und Dienstleistungen im Wert von 300 Millionen Dollar aus. Im kommenden Jahr sollen sich die Ausfuhren mehr als verdoppeln. Der Löwenanteil des Kuchens, rund 60 Prozent, fließt in die USA. Auf Platz zwei folgt Westeuropa mit 18 Prozent, Tendenz steigend. Ob in der Ladelogistik des Containerhafens in Bremerhaven, der Fahrplan-Software der Londoner U-Bahn oder im Online-Netz der Schweizer Nationalbank, indisches Know-how hat Hochkonjunktur – egal ob Aufträge in Indien bearbeitet werden, ausländische Computersysteme offshore via Modem direkt betreut werden oder indische Experten vor Ort für indische Löhne arbeiten. „Von dem gerade erst einsetzenden, gnadenlosen Verdrängungswettbewerb wird Europa wahrscheinlich am stärksten betroffen“, meint der US-Experte Edward Yourdon. Vor allem in den Chefetagen vermißt er den Mut, neue Ideen umzusetzen.

EDV-Spezialist Reinhold Michels von Tata Consultancy Services in Frankfurt sieht gute Zukunftschancen im Bereich Multimedia: „Ein CD-Rom-Sädteführer wird immer im Land selbst konzipiert und entwickelt werden. Seine Herstellung setzt Kenntnisse von Sprache und Kultur voraus, die in einem Billiglohnland kaum zu finden sind.“

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