: Killt Waigel die Deutsche Oper?
■ Das Jahressteuergesetz bedroht angeblich den Bestand des Musiktheaters
Die Nachricht aus dem Bundesfinanzministerium schlug in die deutsche Bühnenwelt ein wie eine Bombe: Künstler, die nicht Bürger eines EG-Mitgliedslandes sind, müssen im kommenden Jahr statt der bisherigen 15 Prozent gut die Hälfte ihrer Gagen an Steuern abführen: exakt 47 Prozent plus Solidaritätszuschlag. Dies sieht die Novellierung des Jahressteuergesetzes vor, die seit dem 20. Oktober amtlich ist und schon am 1. Januar 1996 in Kraft tritt.
Besonders den Opernhäusern droht nun ein Fiasko: Denn in der traditionell internationalisierten Branche betrifft diese Änderung viele Künstler. Die Verdoppelung der Abgaben wird Künstler aus Nordamerika oder Japan, die bisher häufig an deutschen Bühnen zu Gast waren, abschrecken. Selbst laufende Verträge sind gefährdet, eine Lawine von Prozessen könnte den Opernbetrieb lähmen.
Die Novellierung und ihre noch unabsehbaren Auswirkungen auf die deutsche Opernlandschaft waren dann auch das beherrschende Thema der Herbsttagung der Deutschen Opernkonferenz, die vom 9. bis 11. November in Hamburg stattfand. In diesem Zusammenschluß stimmen die großen Opernhäuser Deutschlands sowie Zürichs und Wiens halbjährlich die Grenzwerte der Gagenlandschaft ab. Doch diesmal beschäftigten sich die Intendanten mit den Horrorszenarien einer sterbenden Bühnenkultur in Deutschland.
„So unvorbereitet, so schnell und in diesem Maße trifft die Reform die deutsche Opernkunst ins Mark“, faßte Götz Friedrich, Vorsitzender der Opernkonferenz und Intendant der Deutschen Oper Berlin, die schlimmen Ahnungen zusammen. Ausgleichen können die Häuser die Einkommensdefizite der Künstler nicht. Die Hamburgische Staatsoper allein hätte bei gleichem Budget rund 4,5 Mio. Mark jährlich mehr dafür aufzu- bringen, München ganze sechs.
Darüber hinaus würde die eklatante Differenz der Bruttogagen zwischen aus- und inländischen Künstlern böses Blut erzeugen. Da die Höhe erhaltener Gagen auch stets ein Druckmittel bei Verhandlungen ist, könnte die Reform ein neues Gagenkarussell anschmeißen.
„Ratlos sind wir alle“, so Friedrich. „Wie katastrophal sich die Situation auswirken wird, werden wir bald erfahren.“ Tatenlos wollen die Vertreter der Opernhäuser dem Niedergang aber nicht zusehen. Sie glauben, daß bei der Planung der Novelle „die paar Sänger, Tänzer und Dirigenten schlichtweg übersehen wurden“. Insgesamt gehe es um eine Summe von 50 Mio. Mark – „zu geringe Steuereinnahmen, um dafür die Bühnen zu gefährden“, so Hamburgs Intendant Peter Ruzicka. Deshalb bestehe noch Hoffnung, an höchster Stelle etwas zu erreichen. Denkbar wäre ein Kompromißvorschlag: Der Finanzminister solle sich mit einem Viertel des Einkommens bescheiden – ein Steuersatz, der durchaus im europäischen Durchschnitt läge und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Bühnen weiterhin gewährleisten könnte. Hilmar Schulz
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