: Kranke wollen endlich kiffen dürfen
■ Erste „Cannabis“-Selbsthilfegruppe in Deutschland hat sich in Berlin gegründet. Junge und Alte kamen
Es war ein bißchen wie an dem Wallfahrtsort der Quelle von Lourdes. Egal, ob rüstig oder ob auf Krücken gestützt – an die 100 Menschen waren am Samstag in das Moabiter Krankenhaus geströmt, um der Gründung einer in Deutschland bislang einzigartigen Selbsthilfegruppe beizuwohnen: „Cannabis als Medizin“. Viele Mitglieder der Gruppe leiden an Aids, Krebs, Multipler Sklerose und anderen chronischen Krankheiten. Sie benutzen die Droge Cannabis zum Teil schon lange als Therapeutikum gegen Schmerzen und Appetitlosigkeit wie auch gegen Depressionen.
Da das Medikament in der BRD im Gegensatz zu den USA verboten ist, müssen sie sich die Droge wie gesunde Haschisch- Konsumenten illegal auf dem Schwarzmarkt beschaffen. Die Initiative tritt für die Zulassung von Cannabis als verschreibungspflichtiges Arzneimittel ein.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien, die die positive Auswirkung einer Medikation von Haschisch und Marihuana belegen. Erstmals fand zu dem Thema unlängst in Berlin ein deutscher Medizinerkongreß statt, bei dem aber die Kranken und die fortschrittlichen Ärzte unter sich blieben. Am Samstag war dies anders. Die große Resonanz auf den Kongreß in den Medien hatte etliche Menschen in den Hörsaal im Moabiter Krankenhaus geführt, die noch nie einen Joint gesehen haben.
Viele machten sich Notizen, als die Initiatoren der Gruppe von ihren Erfahrungen mit Cannabis berichteten. Die an den Rollstuhl gefesselte und an Multipler Sklerose leidende Trixi Frings schilderte, daß sie ihre steifen Arme und Beine nach dem Kiffen viel leichter bewegen könne. Matthias Hinz, Mitarbeiter der Deutschen Aidshilfe und seit sechseinhalb Jahren HIV-positiv, verwies auf die stimulierende Wirkung bei Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Erbrechen. Immer mehr Aids-Patienten würden mit Cannabis ihren lebensbedrohenden Gewichtsverlust in Grenzen halten. Der an Lymphknotenkrebs leidende Alexander Remmele pries Cannabis als antriebssteigerndes Mittel, daß es ihm ermögliche, weiter am sozialen Leben teilzunehmen. Sabine Nitz-Spatz, frühere Gesundheitsstadträtin von Tiergarten (Bündnis 90/Die Grünen) lindert die durch ihren Knochenmarkskrebs bedingten starken Schmerzen seit einem Jahr auch mit Cannabis. Bei den herkömmlichen Schmerzmitteln hatte sie häufig das Gefühl, neben sich zu stehen.
Nach diesen Beiträgen prasselten die Fragen auf die Podiumsteilnehmer ein. Allen voran auf zwei Ärzte, Jörg Klaus von der HIV- Tagesklinik Prenzlauer Berg und Dr. Ernst von der Schmerzambulanz des Moabiter Krankenhauses. Eine alte Dame wollte wissen, ob Cannabis auch gegen ihren Grauen Star helfe, ein jüngeres Pärchen war eigens aus Köln angereist, weil es ein Mittel gegen Schilddrüsenkrebs sucht.
Eine 70jährige Rentnerin erzählte von den Beschwerden durch ihren Darmkrebs, ein Aids-Patient und langjähriger Kiffer berichtete von dem großen Problem, Cannabis zu beschaffen, „wenn es einem nicht so gut geht und man keine Connection hat, die es einem zu Hause vorbeibringt“. Der Mann besorgt es dann zwar teilweise für seine Freunde, „aber bei so einer großen Menge wird es manchmal richtig stressig“.
Als erster Erfolg wurde am Samstag gefeiert, daß die Ethik- Kommission der FU einer Forschungsstudie zugestimmt hat, die der am Moabiter Krankenhaus praktizierende Arzt Robert Gorter erstellen soll. Er will Cannabis an 120 Aids-Patienten erproben. Jetzt muß noch die Bundesopiumstelle zustimmen.
Die Initiative will als nächstes den Gesundheitssenator zur Eröffnung einer Cannabis-Ambulanz und eines Cannabis-Gesundheitsraumes bewegen, in dem sich interessierte Ärzte über die Auswirkungen des Medikaments unterrichten können. Plutonia Plarre
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