■ Eine Friedenslösung für Bosnien auf nationalistischer Grundlage würden die Katastrophe nur verlängern: Der Frieden der Experten
Viele Politiker, Friedensforscher, Ratgeber internationaler Organisationen, die Experten der UNO und die Kommandeure der Blauhelmsoldaten in Bosnien- Herzegowina bilden eine widersprüchliche Gemeinschaft. Wie sollte dies auch anders sein, kommen sie doch aus den unterschiedlichsten historischen Traditionen, Denkschulen und Interessensgefügen. Leider haben sich trotz der Vielfalt der Debattierenden schwere gemeinsame Fehleinschätzungen über Bosnien durchgesetzt.
Das hat mehrere Gründe. Zum einen haben die meisten dieser Experten gar nicht die Gelegenheit, sich ernsthaft auf die bosnische Gesellschaft einzulassen. Vor allem jene, die buchstäblich weit ab vom Schuß ihre Thesen formulieren, sind mehr in die Interessenslagen ihrer eigenen Gesellschaften oder, noch problematischer, in die ihrer Regierungen einbezogen als in die bosnische Gesellschaft. Aber auch die Mitglieder der internationalen Institutionen vor Ort tun sich schwer mit der höchst komplexen Situation. Oftmals sind sie nur kurz in Bosnien. Und hinzu kommt, daß sie sich lediglich in der Sphäre bewegen, die durch die Institutionen der UNO und die internationalen Hilfsorganisationen geschaffen worden ist. Nur in seltenen Fällen gewinnen sie ein persönliches Verhältnis zu Bosnien, zu den Menschen, die dort leben, zu ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen mit dem Krieg.
Eines der grundsätzlichen und problematischen Fundamente dieser „internationalen Gemeinschaft“ in Bosnien-Herzegowina ist die Akzeptanz nationalistischer Kategorien. So hinterfragen viele nicht einmal, ob es zulässig ist, Serben, Kroaten und Muslime als Entitäten anzusehen. Die den Nationalismus entgegengesetzte bosnische Identität und die Geschichte des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen und Religionen wird von manchen gar nicht wahrgenommen. Daß es sich bei Sarajevo um eine der zivilisiertesten Städte Europas handelt, ist von dieser Warte aus kaum vorstellbar. Zur Illustrierung: Nicht einmal die aufgeklärtesten Berliner würden sich für zivilisierte Reaktionen ihrer deutschen Mitbürger gegenüber den Türken in der Stadt verbürgen, wenn Berlin von der türkischen Armee eingekreist und über drei Jahre lang beschossen würde. In Sarajevo aber leben nach wie vor über 40.000 Serben.
Die meisten der in Bosnien- Herzegowina tätigen Beobachter sind Soldaten. Und die haben bekanntermaßen eine eigene Vorstellungswelt, die oftmals von Dünkeln durchdrungen ist. So tendierten — zumindest anfänglich — die Sympathien französischer und britischer Offiziere eindeutig hin zur serbischen Seite. Bei der handelte es sich damals nämlich um eine erfolgreiche und intakte Armee, während die bosnische Bürgerwehr einem zusammengewürftelten Haufen glich. Daß die unzureichend ausgerüsteten Freiwilligen unter den denkbar schlechtesten Voraussetzungen die Bevölkerung Restbosniens vor der Vernichtung zu bewahren suchten, nötigte vielen dieser UNO-Soldaten nicht einmal Respekt ab — diese psychologische Disposition war auch bei den niederländischen Blauhelmen in Srebrenica anzutreffen. Mit den bekannten Folgen.
Wenn es gilt, die Rolle der internationalen Institutionen bei der Suche nach einem Frieden in Bosnien-Herzegowina zu bestimmen, ist also Vorsicht angebracht. Wer nur die nationalistischen Kategorien akzeptiert, nicht aber die gemischt kulturelle Identität der bosnischen Gesellschaft, tut sich in der Tat schwer, die Herrschaftsverhältnisse in den von den serbischen Nationalisten besetzten Gebieten (und nicht nur dort) zu definieren. Bis vor kurzem waren Karadžić und Mladić Gesprächspartner geblieben, die von den Akashis und Bildts, den Roses und Smiths als Sprecher ihres „Volkes“ anerkannt wurden. Daß diese Kriegsverbrecher ein auch gegen die Interessen des „eigenen Volkes“ gerichtetes Regime errichtet haben, kam diesen Unterhändlern und Kommandeuren nicht einmal in den Sinn. Die Analyse des auf der Grundlage des Rassismus und des Krieges entstandene Herrschaftsgefüges — ob dieses nun als Faschismus bezeichnet werden darf oder nicht — wurde tabuisiert.
So wird in Kommentaren und Meinungsäußerungen – auch in dieser Zeitung am 2. 11. von Jürgen Gottschlich – die Teilung Bosnien-Herzegowinas und damit das Auseinanderreißen der bosnischen Gesellschaft als „Realpolitik“ ausgegeben. Von den Vorstellungen der Nationalisten ausgehend, es handele sich bei den Bosniern um getrennte Entitäten — die Muslime, die Serben und die Kroaten — und es solle niemand gezwungen werden, mit anderen zusammenzuleben, werden viele international verbürgte Rechte über den Haufen geworfen. Es wird sogar die Rückkehr der Vertriebenen in Frage gestellt. Bei einer künftigen Friedensregelung „soll es sogar egal sein, ob auf der zukünftigen Landkarte der Staat Bosnien-Herzegowina auftaucht“ oder nicht. Es ginge nicht um eine „Staatsidee“, so Jürgen Gottschlich, sondern lediglich um das Überleben derer, die den Krieg verloren haben, der Muslime Bosniens. Da müßte eine Lösung gefunden werden.
Wer den Krieg verlieren wird, sei noch dahingestellt. Welche Lösung er anpeilt, wird von Jürgen Gottschlich nicht angegeben. Sollen Bosnien und damit Sarajevo unter Serbien und Kroatien aufgeteilt werden und ein kleiner, ethnisch reiner Muslimstaat entstehen? Was geschieht mit den Menschenrechten, den Eigentumsrechten, dem Völkerrecht, setzte sich diese Position durch? Diesem Vorschlag gemäß müßten diese Rechte negiert und umdefiniert werden. Und außerdem: Wurde die serbische Bevölkerung Bosniens überhaupt um ihre freie Meinungsäußerung darüber gebeten, ob sie sich Serbien anschließen oder gar nach Serbien auswandern will? Woher kommen eigentlich die Sicherheit und die Chuzpe, die Bedürfnisse der Menschen in Bosnien von außen so zu bestimmen? Was da so leichtfertig dahergeplappert wird, muß den Bewohnern Sarajevos als Horrorvision erscheinen.
Bei den US-Amerikanern ist anzuerkennen, daß sie sich innerhalb der in der internationalen Gemeinschaft gewachsenen Positionen von dem gröbsten Unsinn und den größten Vorurteilen gelöst haben. Zwar ist auch bei ihrer Strategie noch nicht ausgemacht, ob sie in eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung münden wird. Fest steht jedoch, daß eine Friedensregelung in Bosnien-Herzegowina auf der Basis nationalistischer Kategorien für die Menschen dort die Katastrophe verlängern würde. Erich Rathfelder
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