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Neonazi-Szene outet Spitzel

■ Der baden-württembergische Innenminister Birzele macht für eigene Schlappen Bündnisgrüne verantwortlich

Frankfurt/Main (taz) – Innenminister Frieder Birzele (SPD) und dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg fallen die Spitzel derzeit um wie Dominosteine. Mittlerweile ist die Liste der aufgeflogenen verdeckten Ermittler auf mindestens vier, wenn nicht gar fünf Personen angewachsen.

Ursache des reihenweisen Umkippens sind die merkwürdigen Identitäten der V-Leute. Zuletzt kam heraus, daß in Konstanz ein Spitzel in der rechtsradikalen Szene recherierte, und zwar unter dem Namen eines vor 20 Jahren gestorbenen Kindes. Und das ohne Wissen der Eltern. (taz v. 28.10.)

Jetzt bereitet es dem Innenminister großes Unbehagen, daß ausgerechnet die Neonazi-Szene alle paar Tage einen neuen Spion in ihren Reihen outet.

Birzele wandte sich in einem empörten Brief an die Landtagsfraktion der Grünen und beklagte deren öffentliche Kritik. Er bedauere es außerordentlich, daß dadurch der rechtsextremistischen Szene eine öffentliche Diskussion ermöglicht worden sei, „die im Juli durch das verantwortungsbewußte Verhalten der Medien verhindert werden konnte“.

Damals hatte Birzele unter anderem bei der Deutschen Presse- Agentur (dpa) interveniert, um Berichte über den Konstanzer Fall zu verhindern. Die Grünen hatten daraufhin dem Minister Mißachtung der Persönlichkeitsrechte der Eltern und sträflichen Dilettantismus vorgeworfen.

Sie zweifelten außerdem an der Rechtsstaatlichkeit des Einsatzes, der wie bei der Bespitzelung der linken Tübinger Szene 1991 „flächendeckend“ und nicht gezielt gegen einzelne Verdächtige erfolgt sei. Birzele beklagte nun: „Sie haben damit dem notwendigen Kampf gegen den Rechtsextremismus einen schlechten Dienst erwiesen.“

Der Innenminister verwies außerdem darauf, daß im Tübinger Fall der Stuttgarter Verwaltungsgerichtshof den Einsatz zwar für unrechtmäßig erklärte, dieses Urteil vom Verwaltungsgerichtshof aber wieder aufgehoben worden sei. Schon deshalb sei der Konstanzer Fall mit Tübingen nicht zu vergleichen. Birzele warf dem rechtspolitischen Sprecher der Grünen, Michael Jacobi, außerdem vor, daß er sich „für Ausforschungsversuche der rechtsextremistischen Szene instrumentalisieren läßt“.

Jacobi konterte zum Wochenende, er habe sich nicht gegen die Bekämpfung der Neonazis gewandt, habe aber rechtsstaatliche Bedenken gegenüber den Methoden: „Der Zweck heiligt nun mal nicht jedes Mittel!“ Unter der Hand ist derzeit vom Einsatz von etwa 50 bis 70 verdeckten Ermittlern in der Neonazi-Szene die Rede. Eine Anfrage im Landtag soll jetzt Klarheit über Zahl und Art solcher Einsätze schaffen.

Jacobi stellte inzwischen fest, es habe gerade „fünf Minuten“, „zwei Telefonate“ oder einen Gang zum Einwohnermeldeamt gebraucht, um herauszufinden, daß Legenden, also die Personalien und die Lebensgeschichte von V-Leuten, gefälscht seien. Heide Platen

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