: Schweineteuer und wenig transparent
■ Armutsbekämpfungsprogramm: Vernichtende Kritik an der Umsetzung Von Heike Haarhoff
„Mit der jährlichen Zuwendung von zehn Millionen Mark für die Menschen in den am meisten benachteiligten Stadtteilen läßt sich bestenfalls zeitweilig das schlechte Gewissen der Arbeits-, Wohnungs- und Sozialpolitik beruhigen.“ Zehn Monate nach Beginn des „Armutsbekämpfungsprogramms“ des Senats in acht Hamburger „Pilotgebieten“ fällt die Bilanz der GAL-Bürgerschaftsabgeordneten Anna Bruns vernichtend aus. Groteskerweise würden in den geförderten Stadtteilen Stellen und Finanzmittel aus anderen Töpfen teilweise gestrichen. Jüngstes Beispiel dieser widersprüchlichen Sparpolitik ist der Stadtteil Dulsberg.
Laut Armutsbekämpfungsprogramm sollen hier in einem geplanten Gewerbehof, einer Massagepraxis sowie einem Secondhandkaufhaus neue Arbeitsplätze entstehen. Doch die Nachwuchs-Betreuung bei den Kindertageseinrichtungen von freien Trägern wurde zugleich reduziert: die Personalmittel für Früh- und Spätdienste um 13 Prozent, solche für Gruppenbetriebszeiten um 2,5 Prozent – „als Beitrag zur Konsolidierung des Hamburger Haushalts“, wie der Senat jüngst der GALierin Gundi Hauptmüller antwortete.
Satte 150.000 Mark wurden zudem für eine Machbarkeitsstudie bewilligt, deren einziger Zweck ist, herauszufinden, ob sich ein geplantes Familien- und Jugendhotel in St. Georg überhaupt tragen würde. 150.000 Mark – das entspricht knapp zwölf Prozent des jährlichen „Armuts-Etats“ für St. Georg, wenn man die zehn Millionen paritätisch auf die acht Gebiete verteilt. „Warum muß eine Studie so schweineteuer sein, warum liegen immer noch keine Ergebnisse vor?“, zürnte Anna Bruns vergangene Woche im Sozialausschuß. „Die Kosten des Gesamtprojekts belaufen sich auf fünf Millionen. Da ist es sinnvoll, vorab zu klären, ob sich die Investition lohnt“, findet Stadtentwicklungsbehörden-Sprecher Bernd Meyer. Im übrigen hätten Bezirk und Projektentwickler die Entscheidung getroffen: „Wir haben die Verantwortung nach unten delegiert, wie es stets gefordert wird.“
Doch in der Praxis krankt es genau an diesen, im Rahmenkonzept unermüdlich betonten, angeblich demokratischen Strukturen der „Transparenz und Partizipation“. Pastor Christian Arndt rauft sich die Haare, wenn er über BürgerInnenbeteiligung in St. Pauli-Nord berichten soll: „Alles funktioniert nach dem Delegiertenprinzip, unorganisierte Menschen kommen mit ihren Interessen kaum zu Wort.“ Projektentwickler für St. Pauli-Nord ist Beschäftigung und Bildung, zweiter Vorsitzender des Vereins der Beschäftigungsbeauftragte des Bezirks, Horst Pump. Im „Beschäftigungsverbund“, der die Bedürfnisse der Betroffenen ermitteln und prinzipiell allen zugänglich sein soll, debattieren in trauter Runde SPD-Lokalgrößen. Arndt: „Eigentlich könnten wir direkt mit der Verwaltung und den Bezirkspolitikern verhandeln. Das wäre ehrlicher.“
Lediglich das Pilotgebiet Heimfeld bildet eine Ausnahme: Die einst winzigen Saga-Wohnungen in der Friedrich-Naumann-Straße 1-5 sind weitestgehend modernisiert, das Stadtteilbüro funktioniert ebenso wie die MieterInnenbeteiligung: „Wir haben einfach mit denen geredet“, verrät Tobias Behrens vom alternativen Baubetreuer Stattbau den anderen Projektentwicklern einen Geheimtip. Auf Mieter-Wunsch und als Treffpunkte für die Nachbarn werden jetzt die sieben, zur Straße gewandten Pavillons vor den Häuserblöcken modernisiert, vergrößert und nach dem Rotationsprinzip umgenutzt: Es wird einen selbstverwalteten Mietertreff geben, der Kinderladen wird dem – vergrößerten – Frauenladen angegliedert, in dessen alte Räume zieht die Druckwerkstatt „Alles wird schön“ und der Mädchenladen in einen neuen Jugendclub.
Sobald ein Pavillon frei wird, sollen die MieterInnen über seine Nutzung mitentscheiden. „Aus dem ehemaligen Ghetto Heimfeld ist ein Viertel entstanden, mit dem sich viele inzwischen identifizieren“, freut sich Behrens. Auch über die Stadtteilzeitung wären viele ins Gespräch gekommen. Aber: „Armut läßt sich einzig mit dem Programm nicht abschaffen, wenn nebenan in Finkenwerder 1 800 Stellen wegfallen.“
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