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Tanz' den Turnschuh

■ Pas de deux mit Nike: ab heute die belgische Tanzszene zu Gast in der Oldenburger Kulturetage präsentiert einen Gesamtschau der belgischen Tanzszene.

Turnschuhe sind auf dem Vormarsch. Nachdem die klobige Variante zum Statussymbol unter Jugendbanden avancierte, die dreistreifige Rallyeform eines deutschen Sportartikelherstellers zum Inbegriff des 70-er Revivals wurde, heißt es jetzt: tanzt' den Turnschuh. „Daß der Turnschuh Einzug ins belgische Tanztheater gefunden hat, ist symptomatisch“, faßt die Insiderin Susan Barnett aus Brüssel die Entwicklung des letzten Jahrzehnts zusammen. Denn die Kulturrevolution der Fußbekleidung bedeutet für die Branche, in der buchstäblich alles vom Bodenkontakt abhängt, mehr als eine modische Laune. Statt Ballerinas oder den hochhackigen roten Pumps markieren Nike Air eine neue Ära.

Eine Woche lang kann diese neue Tanzepoche in der Oldenburger Kulturetage erkundet werden. Mit „Contempo“ präsentiert man hier ein Festival des zeitgenössischen Tanzes, das sich ganz auf die belgische Tanzszene konzentriert. Von heute bis zum 19. November stehen in acht Aufführungen vier Ensembles und zwei Solotänzerinnen auf der Bühne. Nicht nur geographisch, sondern auch künstlerisch sei Belgien die Schnittstelle zwischen Nord- und Südeuropa. „Ästhetisch hat sich hier seit Mitte der 80er etwas ganz Neues entwickelt.“ beobachtet Susan Barnett, die selbst als Tänzerin am Oldenburger Theater gearbeitet hat und später mit Hans Kresnik nach Heidelberg und Bremen ging. „Seit Jahren ist Belgien für Tänzer das Hin-Guck-Land. Hier ist eine Melange entstanden, die aus dem klassischen Tanz und dem Tanztheater, aber auch den Einflüßen aus Amerika wirklich etwas Neues entwickelt. Die belgische Tanzszene ist zur Zeit ganz einzigartig: Der Tanz wirkt hier ungeheuer jung und frisch. Man richtet sich auch an ein viel jugendlicheres Publikum.“

Gerade das sei etwas, was sich der deutsche Tanz abgucken könne, sagt Susan Barnett, die das Festival des belgischen Tanzes für die Kulturetage auswählte. Mit bescheidenen 60.00 Mark mußte die Kulturetage „um jeden Sponsor kämpfen“. Die Gastspiele laden zum Vergleich ein, denn hier sei der Tanz mit großer „Ernsthaftigkeit“ beschwert. Dem setzte der belgische Tanz Leichtigkeit entgegen. Das Resultat: „Es gibt hier ein ganz neues Frauenbild, junge, sehr erotische Frauen, die eine Art von Frivolität auf die Bühne bringen, die man in Deutschland nicht kennt. Im deutschen Tanztheater dominiert immer noch die mit Ernsthaftigkeit beladene 30-jährige Frau.“

Den Auftakt macht eine belgische Frau, die Choreographin Meg Stuart mit „no longer readymade“. Meg Stuart gilt als „Exportartikel“ der mittlerweile gut vermarkteten belgischen Szene. „No longer readymade“ verbindet neue Bewegungstechniken des Tanzes mit theatralischen Szenen, denen Stuart komische Seiten abzugewinnen weiß.

Die folgenden Abende sind jungen ChoreographInnen gewidmet, denen Arbeiten dem belgischen Tanz den Ruf der Jugendlichkeit und Frische eingehandelt haben. „Ballet C. de la B.“ gibt mit „Everyman“ einen sportiven schnellen Tanzabend, der die „Frische vom Land“ (Barnett) in sich trägt.

Die Compagnie Nicole Mossoux-Patrick Bonte hat ein ganz anderes Konzept entwickelt. Die Tänzerin arbeitet in „Twin Houses“ mit einem Dramaturgen zusammen. Ihre Szene ist ein mysteriöses, geheimnisvolles Spiel mit großen Puppen.

Noch einen Schritt weiter wagt sich die flämische Choreographin Nadine Ganase, die für „Trouble and Desire“ das szenische Arrangement des Flughafens wählt, um frei von etablierten Techniken der Bewegung eine Geschichte von Abschieden zu erzählen.

Den Höhepunkt des Festivals bildet „What the body does not remember“ von Wim Vandekeybus. Er konzentriert sich bei seiner Erinnerungsarbeit auf Momente „when you don't have a choice“, zum Beispiel: „when falling in love, or the second before an accident.“ Gedächtnistraining, das die Tänzer mit einem Höchstmaß an athletischer Energie umzusetzen. Denn die Herausforderung ist groß, Vandekeybus testet seine Tänzer für den Ernstfall. Er läßt Steine in die Gruppe der Tanzenden fliegen. Eine Mutprobe, die man nur mit Reaktionsschnelle übersteht und sicher nicht durch langes Nachdenken. „What the Body does not remember“, eine Gedächtnisübung für die Muskeln.

Susanne Raubold

Contempo, zeitgenössischer Tanz aus Belgienvom 14. bis 19. 11. in der Kulturetage Oldenburg. Karten unter Tel: 0441/924800

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