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Nachschlag

■ Wittekindts Brüssel Projekt zeigt „Der Held der Frauen“

Die Darstellerinnen schnurren über die Bühne wie Rädchen eines Spielwerks. Stehen, Sitzen, rechtes Bein über linkes Bein, Frage, Antwort, im Chor oder einzeln – Positionen und Positionierungen sind vorprogrammiert und vollziehen sich akkurat. Eine Frau Mutter (Annette Klar) gibt Anweisungen, zwei Frauen (Sigrid Spachtholz und Antje Rose) sind bereit.

„Der Held der Frauen“ heißt die neueste Produktion von Matthias Wittekindts Brüssel Projekt, und gezeigt wird das Vorspiel einer operativen Verführung. Lotcek, ein polnischer Ingenieur, soll umgebracht werden, weil er sich dem Abbau militärischer Sicherheitsanlagen durch deutsche Behörden widersetzt. Die beiden Frauen sind professionelle Lockvögel, Frau Mutter ist ihre Ausbilderin, eine Frau Dr. Regler (Inga Dietrich) trägt die Verantwortung. Außerdem gibt es einen Assistenten, Herrn von Tannenberg (Johannes Hupka), und einen gewissen Käfer (Martin Peter), der die erotische Anziehungskraft der Frauen am Ende überprüft. Vermutlich ist Lotcek ein Frauenmörder, und die Lockvögel werden ihren Einsatz nicht überleben, aber dieser komplizierte Krimi ist nur der verschwommene Hintergrund, vor dem Wittekindt menschliche Konditioniertheit vorführen will. Und auch das ist bloß eine Folie, vor der das eigentliche Thema der Inszenierung zutage tritt: die Angst des Mannes vor der Frau.

Schon Assistent Tannenberg fällt aus dem weiblichen Präzisionslaufwerk heraus. Echte Gefühle keimen in seiner schmalen Brust, während ihn Frau Dr. Regler als Sex-Objekt taxiert. Und auch Oberkonditionierer Käfer (ausgerechnet!) sucht menschlichen Kontakt mit den vier Frauen – vergeblich. Verzweifelt legt er wenigstens Tannenberg die Hände auf die Schulter und buchstabiert danach die äußeren Anzeichen seiner Existenz: „Ich sitze auf einem Stuhl. Jetzt stehe ich. Ich bin also aufgestanden.“

Entfremdung, dein Name sei Frau – etwas Ironie hätte gut getan. Oder wenigstens eine Radikalität, die den latenten Sadomasochismus Käfers deutlich gemacht hätte. Doch die „Experimente“, die er mit den Frauen anstellt, und die sie zu seiner Verzweiflung emotionslos ausführen, sind kaum jenseits der Etikette angesiedelt. Er läßt sie eine Hand zwischen die Beine stecken – andere Abgründe kennt diese Inszenierung nicht. Dabei ist die Spielwerkästhetik, die sich zwischen 70er-Jahre-Küchenstühlen entfaltet, im Ansatz sehr reizvoll. Manchmal geraten den Darstellerinnen die Mechanismen durcheinander: Small talk mischt sich aufs Schönste in Befehlsabläufe, Spielerinnen beginnen das Spiel zu kommentieren oder gackern wie ein Huhn. Lustige Variablen einer scheinbar raffinierten Formel – aus der dann aber nichts anderes errechnet wird als Sentimentalität. Petra Kohse

Bis 19.11., 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg

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