: Generation Ex und hopp
■ Keiner will Arbeitnehmer über 56 Jahre. Die Betriebe schmeißen sie raus, die Rentenkassen möchten sie noch nicht haben. Und jetzt will Sozialminister Norbert Blüm (CDU) bei den VorruheständlerInnen kürzen. Von Barba
Generation Ex und hopp
Über den „Beschiß“ an den beitragszahlenden Arbeitnehmern kann sich der Sozialminister in Rage reden. Wer schon mit 56 aufhöre, Arbeitslosengeld kassiere und dann mit 60 Jahren Rente beziehe, bescheiße doch diejenigen, die bis zum normalen Ruhestandsalter schufteten, ereiferte sich Norbert Blüm erst unlängst wieder vor dem IG-Metall- Gewerkschaftstag. Die teuren Vorruheständler sind Blüm ein Dorn im Auge. Der Minister möchte möglichst noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf einbringen, der den frühen Ruhestand teurer macht. Damit droht neuer Krach in den Betrieben: Wenn die Älteren nicht gehen, wer macht dann Platz für den Nachwuchs?
Im jugendlichen Alter von 59,5 Jahren wechselt heute im Durchschnitt der deutsche Mann in den Ruhestand. Nach dem Mikrozensus sind nur noch weniger als 18 Prozent der 60- bis 65jährigen erwerbstätig, bei den Männern ist es nur noch jeder vierte, bei den Frauen jede zehnte. Der Trend zum frühen Ruhestand „ist paradox“, so der Berliner Altersforscher Martin Kohli. „Die Lebenserwartung hat zugenommen, während sich die Erwerbsdauer verkürzt.“ Das Teure daran: Von den männlichen Neurentnern im vergangenen Jahr waren 40 Prozent vorher arbeitslos gewesen. Langzeitarbeitslose werden im Alter von 60 Jahren automatisch Rentner. Ansonsten liegt das Renteneintrittsalter für Männer bei 63, für Frauen bei 60 Jahren.
Der Vorruhestand via Arbeitslosigkeit ist kostspielig für die Sozialversicherung: Die vorzeitig Verrenteten werden von ihren Unternehmen mit 57 Jahren in die Arbeitslosigkeit geschickt und beziehen erst fast drei Jahre Arbeitslosengeld und dann drei Jahre früher Rente. Außerdem zahlen sie, bedingt durch den frühen Ruhestand, weniger Rentenbeiträge. Jeder „goldene Handschlag“ dieser Art verursacht nach Berechnungen des Arbeitsministeriums Kosten in Höhe von 237.000 Mark. „Das muß gestoppt werden“, ist Blüm entschlossen.
Noch ist sein Referentenentwurf nicht fertig, die wichtigsten Punkte aber hat der Minister schon genannt: Die „Rente wegen Arbeitslosigkeit“ wird gestrichen. Künftig kann schon jeder vom 60. Lebensjahr an seine Rente kriegen. Allerdings wird der Rentenanspruch für jeden Monat vor Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,3 Prozent reduziert. Wer mit 60 schon geht, bekommmt also fast 11 Prozent weniger Rente. Bei einer Altersrente von 1.900 Mark sind das immerhin fast 200 Mark weniger im Monat – eine empfindliche Einbuße für so manchen.
Um eine Alternative zur frühen Entlassung zu bieten, will Blüm ab Vollendung des 58. Lebensjahres die „Teilrente“ gestatten. Nach dem Teilrentenmodell erhalten ArbeitnehmerInnen, die beispielsweise auf eine halbe Stelle wechseln, zusätzlich zum halben Gehalt die halbe Rente dazu. Aber das wirft Fragen auf. Wie berechnet sich diese „halbe Rente“? Nach dem Altersruhegeld für 63jährige oder der gekürzten Rente für Vorruheständler? Und wenn die Altersrente am Ende durch das Teilzeitmodell geschmälert wird, wer gleicht den Verlust aus, die Arbeitgeber oder der Staat? Kein Wunder, daß die Rentenexperten im Ministerium schon seit Monaten tüfteln, wer am Ende bluten muß. „Das dauert“, so ein Sprecher des Arbeitsministeriums.
Die Unternehmen jedenfalls fürchten um ihre billige Möglichkeit, die über 56jährigen loszuwerden. Denn haben Ältere Rentenkürzungen zu erwarten, dürften die Gewerkschaften nicht mehr bei den Frühentlassungen mitspielen. Die seien aber die einzige Möglichkeit, überhaupt noch jüngere Mitarbeiter einzustellen, hatte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) schon gewarnt.
Die „Altersteilzeit“ wird von Arbeitgebervertretern offiziell zwar gewürdigt. Nach den bisherigen Erfahrungen aber bevorzugen Unternehmen und Beschäftigte den Totalausstieg. Bisher schon gilt eine Teilrenten-Regelung, nach der Männer mit 63 und Frauen mit 60 Jahren ihre Arbeitszeit reduzieren und eine entsprechende Teilrente beanspruchen können. Das Modell wurde seit 1992 von nur 2.000 Älteren in Anspruch genommen – nicht mal ein Promille aller neuen Rentenanträge! Im Moment bestehe offenbar „keine Nachfrage“ nach der Teilrente, heißt es in einem vom Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebenen Forschungsbericht.
Um die Sozialkassen zu entlasten, wird dem Blüm-Ministerium daher möglicherweise nur eine schlichte Kürzung der vorzeitig gewährten Renten übrigbleiben, mit der Betriebe und Belegschaften dann alleine klarkommen müssen. Der Konflikt ist vorprogrammiert: zwischen den Älteren, die bleiben wollen, und den Jüngeren, denen der Berufseintritt erschwert wird.
In Japan und den USA jedenfalls haben sich die Älteren schon mit ihrem schlechteren Status auf dem Arbeitsmarkt abgefunden. In Japan existieren regelrechte „Altenbetriebe“: Tochterunternehmen großer Konzerne, in denen die über 60jährigen in schlechter bezahlten Jobs beschäftigt sind. Und in den USA sind immerhin noch 23 Prozent der Männer zwischen 65 und 69 Jahren erwerbstätig. Viele davon haben sich im Alter neue Jobs gesucht, um die niedrige Rente aufzustocken.
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