: Namenlose mit rosaroter Brille
■ Gelächter am Abgrund: Die Kammerspiele erinnerten an jüdisches Kabarett zur Nazizeit
„Bist du als Jude zur Welt gekommen, hast du dir Schweres vorgenommen“, heißt es in einer Textzeile. In dem Gebäude der Hamburger Kammerspiele befand bis zu seiner Auflösung im Jahr 1941 der Sitz des Jüdischen Kulturbundes. Dort erinnerte am Montag eine Veranstaltung im Rahmen der Jubiläumsreihe „50 Jahre Kammerspiele“ mit Texten, Liedern und Szenen an jüdisches Kabarett, wie es noch bis 1941 am selben Ort gespielt worden war, von Gruppen, die beispielsweise Die Namenlosen oder Die rosarote Brille hießen.
Die Zuhörer lauschten am Montag ironisch gebrochenen und verschmitzten Versen. Die damaligen Kabarettisten waren konfrontiert mit der Situation eines Überlebens in auswegloser Situation – Künstlergruppen, die vom Rest der deutschen Bevölkerung abgeschnitten waren, „in einer Welt“, so Volker Kühn, Moderator des Abends, „die aus den Fugen geraten war“. Ironie wurde für sie zum Hoffnungsträger, ihr Programm zum „Gelächter am Abgrund“ (das dem Abend den Untertitel gab), wo einem doch eigentlich das Lachen im Halse steckenbleiben sollte.
Geschildert wird auch, wie die jüdischen Künstler immer mehr ihrer künstlerischen Freiheit beraubt wurden. Einer – unter vielen – war Willy Hagen, Leiter der Hamburger Kleinkunstbühne. Hagen war bekannt für seine pikanten, erotischen Humoresken wie der von Hannelore vom Rheinischen Tor. Andere tingelten noch bis 1941 durch die deutsche Provinz, bis zur Deportation – nur wenige überlebten. Bis dahin nutzten sie jede ihnen noch verbliebene Möglichkeit der Präsentation. Jedoch maßregelte die gleichgeschaltete Presse sie früh: Szenen aus dem jüdischen Alltag, über Entfremdung und Heimatlosigkeit paßten nicht in die Zeit. Worauf die Kabarettisten lakonisch zurückgaben: „Niveau ist, wenn man nicht die Möglichkeit hat, sich auf Publikum einzustellen.“
Auffällig war das sich selbstbefragende und gleichzeitig ironisierende Selbstverständnis der damaligen Kabarettgruppen. Davon war am Montag viel zu spüren. Schonungslos reflektierten sie ihr eigenes Unterfangen, das Aufführen jüdischer Kleinkunst. Da wurde über den Witz als solchen und über die eigene Identität parliert, gespickt mit Zitaten von Ringelnatz und Tucholsky. Zu hören waren Schimären der jüdischen Volkskunst, teilweise in jiddischer Sprache und gelegentlich zaghaft untermalt durch Geige und Klavier.
Am Montag allerdings brauchten sich die vortragenden Künstler auf das Publikum freilich nicht einzustellen. Was letztendlich zählte, war die Aufarbeitung eines Stücks vergessener Kultur, die zu andächtigem Zuhören und leisem Schmunzeln gemahnte.
Kai Mierow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen