piwik no script img

„Begnadigt“: Peitschenhiebe

Im Gefängnis von Al Ain wartet die junge Sarah Balabagan auf den Tag, an dem sie abgeholt wird, um hundert Peitschenhiebe zu bekommen  ■ Von Jutta Lietsch

Vor den Augen zufriedener Männer wird man sie auf ein Gestell fesseln und auspeitschen. Man wird sie so lange schlagen, bis sie nur noch ein blutiges Bündel ist. Wenn sie Glück hat, wird sie ohnmächtig. Wenn sie Glück hat, überlebt sie. Als diese Strafe gegen die sechzehnjährige Filipina verkündet wurde, protestierte die philippinische Regierung nicht. Präsident Fidel Ramos ließ mitteilen, er sei „befriedigt“, daß das Todesurteil wegen Mordes in Haft und Prügelstrafe umgewandelt worden ist. Sarah Balabagan, die im Mai 1994 als 15jährige ihre Familie auf den Philippinen verlassen hatte, um wie Hunderttausende junger Filipinas in den Golfstaaten zu arbeiten, hatte sich gewehrt, als ihr Arbeitgeber sie vergewaltigte. Zwei Monate nach ihrer Ankunft in den Vereinigten Arabischen Emiraten erstach sie den 85jährigen Almas Mohammed al-Balushi.

Im Juni dieses Jahres verurteilte sie das Gericht von Al Ain zu sieben Jahren Haft und der Zahlung eines „Blutgeldes“ von 40.000 Dollar an die Familie Balushi – die ihrerseits 27.000 Dollar als „Schadensersatz“ an die junge Frau entrichten sollte. Daraufhin kam es auf den Philippinen und im Auslang zu Protesten. Als aber das Berufungsgericht am 16. September das Urteil aufhob und seinen neuen Spruch verkündete, verwandelte sich der Unmut in weltweite Empörung, denn die Richter befanden, Sarah habe „vorsätzlich gemordet“ und müsse daher hingerichtet werden.

Nach dem in den Vereinigten Arabischen Emiraten angewandten islamischen Recht gab es jetzt nur noch eine Chance für Sarah: wenn die Familie des Getöteten auf die Exekution verzichtete und statt dessen ein „Blutgeld“ akzeptierte. „Ich will, daß Sarah stirbt“, rief einer der Söhne Balushis gleich nach der Verkündigung des Todesurteils. Die Richter erklärten, daß sie der Familie Balushi Zeit für ihre Entscheidung geben wollten, bevor sie den Termin für die Erschießung Sarah Balabagans festsetzten. Auf den Philippinen, wo die Erinnerung an die im Frühjahr in Singapur hingerichtete Hausangestellte Flor Contemplación noch ganz frisch war, wuchs der Zorn auf die eigene Regierung.

Migrantinnenorganisationen beschuldigten Präsident Ramos – der von den philippinischen Arbeitskräften im Ausland gern als den „wahren Helden“ seines Landes spricht –, gleichgültig gegenüber dem Schicksal seiner Landsleute zu sein. Die internationale philippinische Organisation „Migrante“, die sich für die Filipinas im Ausland einsetzt, beklagte „die Abgestumpftheit“, mit der Außenminister Siazon und der philippinische Botschafter in den Emiraten immer nur dazu aufgerufen hätten, die Dinge „nüchtern“ zu sehen. Die Regierung habe nur eines im Sinn: ihre Beziehungen zu den reichen Golfstaaten nicht zu gefährden. Präsident Ramos habe erst nach der Verhängung des Todesurteils begonnen, sich ernsthaft für Sarah Balabagan einzusetzen. „Wir sind empört“, erklärte ,Migrante‘ in einem Aufruf, daß die Politiker „versucht haben, die Proteste für das Urteil des Gerichtes verantwortlich zu machen“.

Vor den Botschaften der Golfstaaten protestierten internationale Frauenorganisationen. Obwohl es in den vergangenen Jahren Berichte über das Los und die Rechtlosigkeit der südostasiatischen Wanderarbeiterinnen in ihren „Gastländern“ gegeben hatte, brachte erst der Fall Sarah Balabagan die Dramatik ihrer Lage ins Bewußtsein. In einer Serie der britischen Zeitung Independent berichtete nun der britische Journalist Robert Fisk über das verschwiegene Drama, das sich in den letzten Jahren in den Golfstaaten abgespielt hat: So trifft eine immer härtere Anwendung des islamischen Rechts auch die schutzlosen und abhängigen Migrantinnen aus den Philippinen, Sri Lanka, Bangladesh oder anderen Staaten, die einen wichtigen Teil ihres Einkommens aus den Überweisungen der exportierten Arbeitskräfte erhalten – und deshalb alles vermeiden, was die Gastgeber verärgern könnte. Mindestens zwölf Frauen sind in den vergangenen zweieinhalb Jahren in den Golfstaaten öffentlich hingerichtet worden. „Von keiner einzigen westlichen Botschaft ist jedoch bekanntgeworden, daß sie gegen die Enthauptung der Frauen protestiert hätte – auch nicht gegen die zunehmend gewalttätigen Auspeitschungen von Hunderten weiblicher ausländischer Arbeitskräfte in den Golfstaaten“, schreibt Fisk. „Die Leichname der ausländischen Frauen, die in Saudi-Arabien enthauptet wurden, sind niemals in ihre Heimatländer überführt worden“, fährt er fort. Die Behörden des Landes, das zu den wichtigsten politischen Verbündeten des Westens in der Region gezählt wird, weigern sich, auf die Bitten der Angehörigen der getöteten Frauen zu antworten.

Für Sarah Balabagan gibt es noch Hoffnung: Ende Oktober schließlich erklärte die Familie Balushi in Al Ain – offenbar überredet vom Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate – sie verzichte auf die Hinrichtung Sarah Balabagans. Presseberichten zufolge hat die philippinische Regierung ihren Botschafter in den Emiraten angewiesen, sich um eine Verschonung Sarahs von der Prügelstrafe zu bemühen. Auch der französische Präsident Chirac und andere internationale PolitikerInnen haben um Gnade für die junge Frau gebeten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen