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WühltischRegressive Beutelkultur

■ Vom Herrentäschchen über den Rucksack zum besitzanzeigenden Bauchgurt

Vor noch gut drei Dekaden galt das Mitführen von Tragebehältnissen als Hinweis auf Berufstätigkeit. Emsige Aktentaschenträger verwiesen allüberall darauf, daß die bundesrepublikanische Produktivkraft mehr und mehr in den tertiären Sektor wanderte. In den krokodilledernen Täschchen der Damen mittleren Alters wähnte man dagegen schon immer einzig schönheitsfördernde Utensilien – und selbst James Bond war überrascht, wenn daraus zwecks Bedrohung seiner Person eine Damenpistole hervorgeholt wurde.

Ein Paradigmawechsel in der Taschenwelt deutete sich an, als lederne Herrentäschchen aufkamen, die ihren Besitzern zunächst freilich kaum mehr als den Verdacht einbrachten, homosexuell oder ähnliches zu sein. Der gestandene Mann trägt nämlich ohne erkennbaren Grund nichts mit sich herum, vielmehr galt der Satz Huckleberry Finns: Nützliche Dinge wie Taschenmesser, Bindfaden und Regenwurm gehören in die Hosentasche. Nur Pfeifenraucher pochten auf kleine rundliche Wildlederbeutel für ihre Gerätschaften, aber die waren sowieso komische Leute.

Seither ist die Taschenwelt nicht mehr dieselbe. Wohin man schaut, Rucksäcke aus Stoff, Leder und Kunstfaser, mit und ohne Werbeaufdruck, teure Fabrikate oder Billigimitate. Kaum ein Großstadtrücken, an dem kein City- oder Day-Pack herunterhängt, mal handlich klein geschnürt, mal sichtlich überladen. Die schicke Lederausführung von Bree sieht man immer häufiger auch bei Anzugmenschen, denen man eine Tätigkeit im mittleren Management ohne weiteres zutraut. Der Rucksack, so ist zu vermuten, soll in diesem Fall für ein gewisses kreatives Chaos stehen, das sich der Ordnungsliebe des Aktentaschenmenschen überlegen wähnt.

Mit der Tagesration auf dem Rücken ist man fürs Abenteuer Großstadt jederzeit gerüstet. Der Rucksackmensch beharrt auf Armfreiheit, und sei es nur zum Fahrradfahren – in der Geschäftswelt längst ökologischer Standard. Gewisse praktische Eigenschaften sind dem Tagesrucksack durchaus nicht abzusprechen, von häufigem Dokumententransport ist allerdings abzuraten. Dringend geboten ist außerdem, Lebensmittel noch einmal gesondert zu verpacken.

Größere Aufmerksamkeit verdient indes der sich epidemieartig ausbreitende Bauchgurt, dessen Symbolik seine Funktion bei weitem überragt. Geldgurte waren vor allem in Globetrotterkreisen zweckmäßig, als Tarnung, die vor Diebstahl schützen sollte. Geschickterweise trug man ihn deshalb unter dem Pullover oder der Jacke. Die Bauchgurte dieser Tage sind freilich alles andere als unauffällig. Es gibt breite Lederausführungen ebenso wie illuminierte Plastikversionen in Signalfarben. Nicht selten erwecken sie den Eindruck einer Körperprothese. Man trägt zur Schau, daß man Schützenswertes mit sich führt. Ist der City-Pack Ausdruck einer zunehmenden Nomadisierung des urbanen Lebens – Dabeihaben ist alles –, so verweist der Bauchgurt auf regressive Tendenzen. Man kennt das Bedürfnis von Kindern, profane Dinge zu Talismännern zu erklären, die fortan überallhin mitgenommen werden müssen.

Aber hatten die ersten Herrentäschchenträger im Sinn, daß niemand mehr Anstoß daran nimmt, wenn der erwachsene Mitteleuropäer zum Akt der Rechnungsbegleichung kurz oberhalb des Hosenschlitzes nach seiner Habe fingert? Harry Nutt

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