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■ Wer Shell boykottiert, trifft nicht Nigerias MachthaberFürs eigene ruhige Gewissen

Man stelle sich vor: Die internationalen Proteste gegen Ken Saro-Wiwas Hinrichtung setzen Ölkonzerne und Militärherrscher in Nigeria so sehr unter Druck, daß beide Seiten beginnen, sich gegenseitig für die Misere verantwortlich zu machen. Schließlich verstaatlicht die Regierung das Kapital der Ölindustrie, und die Konzerne ziehen sich zurück. Die Verfechter eines Abzugs von Shell aus Nigeria müßten jubeln: Sie hätten ihr Ziel erreicht.

Wer zum Shell-Boykott aufruft, muß wissen, was er von Shell eigentlich will. Geht es um Shells Rückzug aus dem Land? Es ist zu bezweifeln, ob es den Nigerianern ohne Ölmultis besserginge. Die Ölförderung würde ja weitergehen. Nur rassistische Naivlinge, die Afrikaner für technikunfähige Halbaffen frisch vom Baum halten, können ernsthaft glauben, daß ein Rückzug der multinationalen Konzerne aus Nigeria den Stopp der dortigen Industrieaktivitäten herbeiführen würde. Die Ölförderung würde weitergehen – mit weniger Investitionen, weniger Rentabilität und wachsendem Umweltrisiko. Und daß eine winzige Elite des Landes die Ölmilliarden als ihr Privateigentum betrachtet, würde sich auch nicht ändern.

Neben der Rückzugsforderung gibt es auch die, Shell möge seinen Einfluß in Nigeria geltend machen. Soweit das Ziel ist, daß Shell seine Kritiker vor den Militärs schützt, ist das richtig. Es kann aber nicht darum gehen, daß Shell Nigerias Militärdiktatur stürzt – zum Beispiel dadurch, daß der Konzern seine Ölgelder nicht an Nigerias Diktatoren zahlt, sondern auf ein Sperrkonto zum Nutzen einer zukünftigen demokratischen Regierung. Denn damit würde Demokratie in Nigeria ein korruptes Milliardengeschäft. Die Elite des Landes würde alles daran setzen, sich ganz schnell mit der Aussicht auf die Shell-Fleischtöpfe demokratisch wählen zu lassen.

Druck auf Shell muß sich konkrete Ziele setzen. Die Ölförderung muß Mindeststandards ökologischer und politischer Verträglichkeit genügen. „Bürger aus den Ölgebieten müssen im Vorstand der Ölfirmen vertreten sein, und die Gemeinden vor Ort müssen beteiligt werden; schließlich muß der Bevölkerung des Deltas erlaubt werden, sich am Verkauf von Rohöl zu beteiligen“, verlangte Ken Saro-Wiwa 1991. Er wußte: Das Öl ist nicht Nigerias Fluch, sondern seine Chance. Rückzugsforderungen mißbrauchen das Schicksal Nigerias als düstere Kulisse für das Leuchten des eigenen Gewissens, für die Sorge, daß wir Europäer uns die Hände schmutzig machen. Dominic Johnson

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