: Ein gutes Hilfsmittel: Wut
■ Die Malerin Karin Witte führt mit einer Einzelausstellung in die Geheimnisse der Malerei
Informelle Bilder jenseits von Abbildlichkeit und Konzept produziert die Hamburger Malerin Karin Witte durch tiefes Eintauchen in das Geheimnis des Malens. Sie lebt so sehr in der Malerei, daß die Bildinspiration sich auf scheinbar magische Weise in der Arbeit selbst ergibt, daß sie weniger das Bild macht, als daß das Bild durch sie entsteht.
„Ich bin offen, deshalb kommt es auf mich zu“, wie sie diese Eingebung ausdrückt. Kopf und Tier waren lange Zeit die Ausgangsthemen für ihre Bilder, die sich mehr und mehr der Abstraktion nähern.
Vom einst im Atelier aufgebauten, gewundenen Krokodil (aus Plastik) ist in den neuen Arbeiten nur noch eine Halbbogenform wiederzuerkennen. „Ich brauche nur ganz wenig Stützen, nur kleine Teile als Anlaß, die eigentlich ganz unwichtig sein können. Dann entwickeln sich die Farben und Formen immer mehr. Schließlich muß ich sie wieder zähmen und reduzieren.“
Zu Beginn ist ein gutes Hilfsmittel schlicht Wut, um erst einmal aus sich herauszutreten und dem weißen Blatt oder der leeren Leinwand etwas entgegenzusetzen. Aber das ergibt nur den Anfang. Anschließend muß das Bild wachsen und wird dabei in zunehmender Feinheit der Mittel durchaus kontrolliert aufgebaut.
„Die Formen müssen nach meinen Kriterien richtig sein, den Rest macht der Betrachter. Bach oder Wolke, das ist ganz egal, auch ich sehe manchmal was anderes.“ Malerin und Betrachter sind Partner in offener Erkundung. Das bedeutet aber keine Beliebigkeit, Karin Witte kontrolliert zwischen den wilden Produktionsphasen ihre Ergebnisse ganz genau.
Dabei hilft ihr ein Spiegel, um die Farbverteilung auch seitenverkehrt beurteilen zu können und manchmal wird ein als Querformat angelegtes Bild am Ende ein Hochformat. Schon Goethe sagte über Caspar David Friedrich: „Die Bilder von Maler Friedrich können ebensogut auf dem Kopf gesehen werden“.
Doch anders als er wissen wir längst, dies ist eine Qualität. Da Karin Witte sich so sehr erst aus dem Machen selbst heraus inspiriert, sind auch ihre Zeichnungen eigenständige Arbeiten und keine Skizzen für große Bilder. Hier ist das Papier noch von geflügelten Wesen, ähnlich modernen, gebrochenen Engeln bevölkert, sind die Assoziationen durch Titel wie „Doppelkopf“ oder „Schwarzfroschfänger“ direkter gesteuert.
Wo nimmt die extrovertierte 56jährige Malerin, die Erläuterungen zu ihrer Kunst hyperaktiv fast tanzt, ihre immense Energie her? „Aus dem Leben um mich herum,“ sagt sie. „Ganz allein im Wald würde das vielleicht nicht funktionieren.“
Mit einer Einzelausstellung von fast siebzig Bildern füllt Karin Witte jetzt ganz allein die Halle K3 auf Kampnagel.
Hajo Schiff
K 3 auf Kampnagel, Do+Fr 16-21, Sa+So 14-21 Uhr, noch bis diesen Sonntag
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