Der Muster will ein Mister sein

Trotz Auftakt-Niederlage bei der ATP-WM: Der Österreicher Thomas Muster zeigt in Frankfurt bewährten Biß – und legt Wert auf Manieren  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Der Herr Muster – auf diese Anrede besteht der Tennisspieler Thomas Muster aus Österreich. Dieser Herr ist ganz bestimmt kein geselliger Mensch. Muster (28), so hat es den Anschein, ist ein „Grantler“, ein Eigenbrötler – im wahren Leben und draußen auf dem Court. „Winning ugly“, sagt er trotzig, sei halt sein Motto. Und John McEnroe sein Vorbild – nicht unbedingt der Tennisspieler McEnroe, sondern der „Kunstsachverständige“ (Muster).

Wenn der Herr Muster nicht Tennis spielt, malt er nämlich abstrakte Bilder im Stil von Kandinsky oder Miró. Die malt er alleine und zeigt sie danach keinem Menschen. Der Herr macht auch Musik. Doch die müsse noch als „Krach“ bezeichnet werden.

Muster spielt gerne den einsamen Steppenwolf. Und er beißt dabei nach allen Seiten. Pete Sampras etwa, der nette Junge aus Tampa, möchte sich „ganz bestimmt keine der Eigenschaften des Mr. Muster wünschen“. Hätte er die, hat Sampras entsetzt sinniert, würde sicher seine ganzheitliche, von christlicher Ethik geprägte Persönlichkeitsstruktur aus dem Gleichgewicht geraten.

Der Tennisspieler Muster also hat kaum Freunde: (fast) keine in der normalen Welt und keinen in der weißen Szene. „Ich will nicht nett sein zu Spielern. Ich will Spiele nur gewinnen“, sagt er.

Geliebt werden will er also nicht. Nicht von den Kollegen und schon gar nicht von den Zuschauern auf den Rängen. Nur „Respekt“ hätten sie ihm alle entgegenzubringen – insbesondere die Österreicher. Die ließen ihn damals nach seinem schweren Unfall in Key Biscayne nämlich kollektiv fallen. Ein betrunkener Autofahrer hatte Muster am 1. April 1989 auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums mit seinem Wagen beide Beine eingequetscht: Kreuzband und Seitenband waren gerissen. Keinen Schilling mochten die österreichischen Medien mehr auf das Comeback des Mannes setzen, den sie zuvor euphorisch gefeiert hatten: als ersten Österreicher unter den Top ten der ATP-Weltrangliste.

Doch Muster zeigte es allen. Nach sechs Monaten mit „Schmerzen, Qualen und Depressionen“ (Muster) spielte er wieder. Irgendwann besser als je zuvor. Im Januar 1990 gewann er dann schon das Turnier in Adelaide: nicht auf seinem geliebten Sand, sondern ausgerechnet auf einem ungeliebten Hartplatz.

„Jedes Individuum von tatsächlicher Größe ist wie Mozart“, hat er nun in Frankfurt wissen lassen. Heute steht er nach dem Sieg bei den French Open (Sand) und Siegen in Monte Carlo, Rom, Estoril, St. Pölten, San Marino, Bukarest und Essen auf Platz 3 der Weltrangliste. Und könnte hier in Frankfurt bei den Weltmeisterschaften sogar die Nummer 1 werden – wenn er gewinnt und Pete Sampras spätestens im Halbfinale scheitert.

Danach sieht es allerdings nicht recht aus, seit er am Dienstag sein Auftaktmatch gegen Michael Chang (USA) in drei Sätzen 4:6, 6:2 und 6:3 verloren hat. Muster behauptet, das müsse nichts heißen: „Das war das erste Match – zwei kommen noch.“ Andererseits redet er auch davon, sich „ein schönes Wochenende zu machen“. Ausruhen? Das heutige Spiel gegen Jim Courier wird sein 102. in diesem Jahr sein. 86 davon hat er gewonnen und damit 12 Turniere. Was Frankfurt betrifft: Erstens „muß er nicht auf Biegen und Brechen die Nummer 1 werden“, zweitens ist ihm das Ganze eindeutig zuviel „Boris, Boris, Boris“. Danach, sagt er, komme lange nichts „und dann wieder Boris“. Und was den Auftritt von Chang betraf, mochte sich Muster eine kleine Anmerkung nicht verkneifen: „Ich habe gesehen, daß Herr Chang Krämpfe hatte“, sagte er, „aber dafür war er sehr schnell.“ Ja wie? Der immer faire Michael Chang ein Schauspieler?

„Stellen Sie ihm doch diese Frage“, blockte Muster grantig alle Nachfragen empörter Journalisten aus den USA ab. Doch als es einer gar wagte, ihn, wie das dort branchenüblich ist, mit Vornamen anzusprechen und „Thomas“ zu nennen, kam er schnell wieder aus der Deckung: „Mister“, hat Thomas Muster den Mann zurechtgewiesen, „I want to be called Mister Muster.“