Die Stimme der Freiheit wird nur kurz übertönt

■ betr.: Ermordung Ken Saro-Wiwas und seiner Mitstreiter

Vielen Dank für Eure Entschiedenheit, mit der ihr die schrecklichen Geschehnisse um den nigerianischen Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa wiederholt als Titelthema ausgewählt habt. Auch Deutschland ist auf vielfältige Weise (Müllexport, Öleinfuhr, etc.) mit dem Schicksal der Nigerianer verbunden. Wer, wie ich auf zwei Reisen, erlebt hat, wie die Nigerianer durch ihren eigenen Staat und deren ausführende Organe Militär, Polizei und Verwaltung permanent gedemütigt und ausgequetscht werden, kann nur hoffen, daß der internationale Druck auf Sani Abacha und seine korrupte Clique zunimmt und es ihnen unmöglich wird, sich in ihren Ämtern zu halten. Eure Arbeit ist einer von vielen notwendigen Schritten dahin. Eva Apraku, Berlin

Der November 1995 brennt sich unauslöschlich in mein Gedächtnis. Ein Monat, in dem man die ganze Hoffnung auf die Menschheit in zwei Schlägen verlieren kann. In was für einer Welt leben wir eigentlich, in der die Träger des Friedensnobelpreises und des alternativen Friedensnobelpreises eines Jahres so mir nichts dir nichts umgebracht werden.

Mein Vater verließ meine Mutter und mich 1975, um seinem Land Nigeria als frischer Absolvent einer deutschen Fachhochschule beizustehen. Er hatte noch Hoffnung und war Stolz ein Nigerianer, ein Yoruba zu sein. Damals als Kind konnte ich das nicht verstehen und heute stehe ich leider wieder vor derselben Ungläubigkeit.

Im Februar besuchte ich das letzte Mal meine zweite Heimat. Ich traf den Bruder Ken Saro-Wiwas, Dr. Owen Wiwa und führte ein Interview mit ihm. Ken Saro- Wiwa war zu dieser Zeit schon verhaftet, trotzdem fühlten sich die vielen Helfer im Mosor-Office (Movement of Survival of Ogoni People) in Port Harcourt zuversichtlich, daß Ken den Prozeß heil überstehen würde. Die ersten Zeugen der Anklage kamen schnell ins Zwielicht und wurden endlich der Falschaussage überführt. Sie waren bestochen, gaben sie zu. Ken Saro-Wiwa habe ich nie persönlich kennengelernt. Ich erinnere mich noch an seine Ehefrau, die gerade am Morgen eines Prozeßtages ins Büro zurückkehrte und am ganzen Körper und im Gesicht von Blessuren einer Auseinandersetzung mit der Polizei gezeichnet war. Ich nutzte den Augenblick, da alle Sicherheitskräfte zum Justizgebäude gezogen waren, um ungehindert die Verseuchung und das Elend des Ogonilandes zu sehen und zu begreifen. Der Polizeipräsident der Stadt versprach, alle ins Gerichtsgebäude hineinzulassen, die sich vorher bei ihm anmeldeten. Sie konnten sich nicht anmelden, wurden anstelle dessen draußen auf dem Platz attackiert.

Auch Dr. Owen-Wiwa hatte Angst. Wir sprachen einander an einem geheimen Ort in Lagos, 10.000 Dollar Kopfgeld sind ein Vermögen in Nigeria.

Jetzt habe ich zum ersten Mal auch Angst um meine Verwandten und alle unschuldigen Menschen in Nigeria. Bislang meinte ich eine Unerschütterlichkeit und ein Vertrauen auf die Gegenwart vielleicht gar die Zukunft erkannt zu haben. [...]

Das Regime propagierte einmal ein Lied, das den Refrain hatte: „Let's save Nigeria, before Nigeria will die.“ Würden doch irgendwann die Militärs hier und überall meinen, was sie sagen. Meine Gedanken sind bei Ken Saro-Wiwa, seiner Familie und beim Volk Nigerias. Die Stimme der Freiheit wird nur kurz übertönt. Name und Anschrift sind

der Red. bekannt

„Wir werden uns ändern!“ versprach Shells Werbeabteilung noch vor wenigen Monaten in großformatigen Werbeanzeigen. Damals saß Ken Saro-Wiwa schon lange im Knast. Weiter hieß es in den Anzeigen sinngemäß: „Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir unterlassen.“ Das zu späte und unwillige Eingreifen des größten in der Region tätigen und für die Zerstörung des Ogoni-Landes verantwortlichen Ölkonzerns für Ken Saro-Wiwa war eine bewußt tödliche Unterlassung. Nein, freiwillig wird sich kein Ölmulti ändern! Nicht Shell, nicht Amoko, das in Westsibirien den Lebensraum der Rentiernomaden zerstört und auch kein anderer.

„Wer ihr Land nimmt, zerstört ihr Leben“, hieß das Motto der Kampagne „Menschenrechte für Indigene Völker“ vor einigen Jahren. Wieder einmal hat es sich grausam bewahrheitet und keine Erklärung des „Bedauerns“ wird Ken Saro-Wiwa, Barinem Kiobel und die sieben anderen zurückbringen. Shell hat den Justizmord am wichtigsten gewaltfreien Kämpfer für die Rechte eines ausgebeuteten Volkes billigend in Kauf genommen. Sämtliche jetzt „entsetzten“ Staatsoberhäupter haben viel zu spät reagiert und nicht einmal die neuen Weltbankkredite gestoppt. Zur Zeit sitzen noch zirka 30 weitere Personen in Haft, denen das gleiche Schicksal droht, und wer regelmäßig die taz liest, weiß, daß zirka 80.000 Menschen auf der Flucht sind, zirka 2.000 ermordet wurden und daß das Ogoni-Land militärisch besetzt und abgeriegelt ist.

Kein Appell und kein symbolischer Akt wird das Volk der Ogoni retten. Doch: Das Land ist zu 80 Prozent vom Erdölexport abhängig und trotz aller Dementis ist Shell der größte dort aktive Multi – und kümmert sich einen Scheißdreck um die Rechte der einheimischen Bevölkerung. Den Tod Ken Saro-Wiwas dürfen wir Shell nicht verzeihen. Und wir dürfen die Ogoni nicht in einer Woche wieder vergessen haben. Auch wenn die anderen Multis auch nicht besser sind: Es muß einen zweiten Boykott geben, Shell und Exxon müssen richtig Dresche kriegen, wenn die Ogoni und andere überleben sollen. Menschenleben sollten uns nicht unwichtiger sein als die Nordsee. Johannes Rohr, Köln