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„Sie hat Tibet anders gesehen als wir heute“

■ Ein Gang mit Eva Siao durch ihre Fotoausstellung

Fotoreporterin, Journalistin, Dokumentarische Fotografin – „Ich habe mich nie darum gekümmert, wie die Leute mich bezeichnet haben. Ich habe einfach fotografiert“, sagt Eva Siao. Vor ihrer Rückkehr nach Peking ist sie noch einmal durch die Ausstellung ihrer Tibet-Fotos gegangen, die der Berliner Ethnologe und Filmer Wolf Kahlen organisiert hat. 75 bislang unveröffentlichte Schwarzweißaufnahmen sind hier aus ihrem großen Schatz an Tibet-Bildern ausgesucht worden. Sie entstanden bei zwei Besuchen in dem gerade von China „befreiten“ Tibet in den fünfziger Jahren. Den jungen Dalai Lama, Mönche, Adlige, Bäuerinnen hat sie bei ihrer ersten Reise 1956 fotografiert, als sie mit dem DDR-Schriftstellerehepaar Hauser durch das Land fuhr. „Wir konnten machen, was wir wollten. Ich bin immer nur herumgelaufen und habe einfach fotografiert, wen ich sah und wer mir gefiel. Ich habe oft gar nicht gewußt, wer das war.“

Sie bleibt bei einer Gruppe Fotos stehen, die noch die intakte Altstadt von Lhasa zeigen, Karawanen, Händlerinnen, Passanten: „Schauen Sie doch, die Tibeter sind ganz besondere Menschen. Sie sind gar nicht, wie man sie beschreibt, sie sind so freundlich, überhaupt nicht verbittert.“ Eva Siao sagt es, als müsse sie die Tibeter gegen ungerechte Vorwürfe verteidigen. „Da war doch Leibeigenschaft, dann kam die Befreiung.“

Nicht zufällig ist keines der Fotos datiert oder mit einer Erklärung versehen: Der Organisator der Ausstellung und die Fotografin hätten sich nur selten auf einen Text einigen können – vor allem bei den Bildern, die bei der zweiten Reise, 1959, nach der Niederschlagung des Aufstandes, entstanden. Da war der Dalai Lama bereits mit Zehntausenden seiner Anhänger ins indische Exil geflohen, und die chinesische Armee und kommunistische „Freiwillige“ brachten die Enteignungskampagne unter dem überlebensgroßen Abbild Maos und den roten Fahnen nach Tibet. Eine strahlende tibetische Bäuerin steht im erntereifen Feld. Ein in tiefer Beugung gehaltener Großgrundbesitzer wird seiner Schandtaten angeklagt. Triumphierend werfen die ehemals Geknechteten ihre Schuldscheine ins Feuer, das hoch auflodert. Mönche spielen Theater unter freiem Himmel: „Sie haben ihre Leidensgeschichte dargestellt. Endlich konnten sie aussprechen, wie es vorher wirklich gewesen war“, erklärt sich Eva Siao die Bilder. In der Einladung zu dieser Ausstellung hat Wolf Kahlen geschrieben: „Sie hat das Tibet im Umbruch – anders als wir heute – gesehen und dokumentiert, aus ihrer unverwechselbaren Sicht.“ Eine feine und sachte Distanzierung, die der Fotografin zugleich großen Respekt zollt. „Ich weiß nicht, was in Tibet jetzt los ist. Ich war ja nie wieder da“, sagt sie einmal bei ihrem Rundgang. „Sie sind doch Journalistin. Fahren Sie hin, schauen Sie selbst.“ Die chinesische Regierung tut alles, um eine freie Berichterstattung aus Tibet zu verhindern? „Gehen Sie trotzdem hin. Sie dürfen sich nie aufhalten lassen!“ Jutta Lietsch

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