: In Nigeria wird abgefackelt
Seit Jahren streiten sich Nigerias Regierung und die Ölkonzerne über Umweltschutz in den Ölgebieten. Weil der teuer wäre, ist nichts passiert ■ Von Dominik Johnson
Berlin (taz) – Ein vom Ölkonzern Shell geführtes Investorenkonsortium trat gestern im nigerianischen Lagos zusammen, um über die Zukunft eines der bisher größten Investitionsprojekte in dem westafrikanischen Land zu beraten. Erwartet wurde eine prinzipielle Zusage für die lang geplante Gasverflüssigungsanlage in der südostnigerianischen Hafenstadt Bonny, die 3,6 Milliarden Dollar kosten soll. Eigentlich sollte der endgültige Vertrag für dieses Projekt gestern in London unterzeichnet werden. Nach Druck durch die britische Regierung wurde das dann wieder abgeblasen. Viele Kritiker hatten Shell zum gänzlichen Verzicht aufgefordert. Nun soll die Vertragsunterzeichnung wohl doch stattfinden – nicht jetzt, aber bis zum Jahresende.
Die Diskussion darüber verweist auf die Schwierigkeiten, die die Debatte um Sanktionen gegen Nigeria birgt. Nigerias Regierung hat nämlich im Zusammenhang mit der Gasverflüssigungsanlage bereits eine Milliarde Dollar auf einem festen Sonderkonto angelegt – eine Art Garantie dafür, daß sie ihren Anteil an den Investitionskosten auch zahlt und nicht wegen Geldmangel wieder aussteigt. Sollte nun das ganze Projekt aus Protest gegen die Hinrichtung des Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa abgeblasen werden, bekäme die Militärregierung ihre Milliarde zurück – zur freien Verfügung.
Die Aktionäre der Betreibergesellschaft „Nigeria Liquified Natural Gas“ (NLNG) sind natürlich keine Gegner des Militärregimes, doch würden die Konzerne einen positiven Bescheid über das Gasverflüssigungsprojekt natürlich begrüßen. Die Förderung des Erdgases, das bei der Ölförderung im Niger-Flußdelta entströmt und bisher zu drei Vierteln völlig nutzlos und die Umwelt verschmutzend abgefackelt wird, steht ohnehin im Zentrum einer ökologischen Sanierung der Ölfördergebiete.
Bereits 1979 verordnete Nigerias damalige Regierung in einem „Gas Reinjection Decree“, daß die Ölkonzerne das entweichende Erdgas ableiten oder zurück in die Erde pumpen sollten. Der Beschluß erfolgte nach Protesten der lokalen Bevölkerung. Das Dekret wurde aber nie beachtet, weil Shell und Nigerias Regierung sich nicht über die Kosten einig werden konnten. Damals hielt Shell an dem Joint-venture zur Ölförderung „Shell Petroleum Development Company“ (SPDC), das die Hälfte des nigerianischen Öls fördert, einen Anteil von 20 Prozent, die staatliche nigerianische Ölfirma NNPC 80 Prozent. Shell verlangte, die NNPC möge auch 80 Prozent der Kosten zur besseren Gasnutzung übernehmen. Am Schluß geschah gar nichts, und Nigerias Regierung belegte die SPDC mit Geldstrafen. Diese mußte dann natürlich zu 80 Prozent die staatliche NNPC zahlen – so daß Nigerias Regierung sich letztendlich selber bestrafte.
Damals wurde die Idee eines 15 Milliarden Dollar teuren Flüssiggasprojektes zur Lieferung von Gas nach Europa geboren. Das Projekt schrumpfte schnell auf acht Milliarden Dollar und blieb dann jahrelang unbeachtet, während die Internationale Energiebehörde sich überlegte, ob man nicht einfach eine Gaspipeline quer durch die Saharawüste bauen könnte. Schließlich kam das jetzt erörterte, viel kleinere Projekt heraus. Auch die Anteile in der Ölförderung hatten sich verändert. Nun soll sich die Staatsfirma NNPC mit 49 Prozent beteiligen, Shell mit 24 Prozent.
Auch das aktuelle Projekt liegt hinter dem Zeitplan. Sollte das internationale Sanktionscrescendo in den nächsten Wochen lauter werden, könnten die Geldgeber wieder abspringen, ebenso mögliche Gasabnehmer in Italien, Frankreich, Spanien und der Türkei.
Neben dieser Gasverflüssigungsanlage sind auch die US-Ölkonzerne Chevron und Mobil dabei, ähnliche Projekte mit Gesamtkosten von 1,5 Milliarden Dollar zu starten – als Teil des Trends der Ölkonzerne Gas- und Ölbohrungen auf dem Meer voranzutreiben.
Wie alle bereits bestehenden Ölinvestitionen in Nigeria – wo seit 1956 Öl gefördert wird – sind das Langzeitprojekte, die Kapital über Jahrzehnte binden. Sanktionsforderungen und politische Instabilität würden dagegen eher Investitionen und Handel außerhalb des Ölsektors treffen, wo Kapital leichter zu- und abfließt. Allein zwischen 1985 und 1991, als Nigeria aufgrund des Ölpreisverfalls in die andauernde Wirtschaftskrise rutschte, verzeichnete Nigeria einen Nettokapitalabfluß von 14 Milliarden Dollar. 1994 verließen noch einmal scharenweise Auslandsinvestoren das Land; so schloß Volkswagen sein Werk, und die US-Ölfirma Texaco suchte vergeblich ausländische Käufer für ihre Anteile an der Ölförderung. Die deutschen Einfuhren aus Nigeria schrumpften zwischen 1992 und 1994 von 2,278 auf 1,441 Milliarden Mark – die Ausfuhren, zumeist Maschinen, Elektrogüter und Autos, halbierten sich gar von 1,609 Milliarden auf 805 Millionen.
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