: Marsch in den Lohnsteuerstaat
Die Verbraucher zahlen, nicht die Reichen: Allein die Tabaksteuer bringt dem Staat mehr als die Einkommenssteuer der Gutverdienenden ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) – Gibt es tatsächlich keine Alternativen zu Kürzungen von Sozialleistungen oder Bildungs- und Kulturetats bei Bund, Ländern und Gemeinden? Oder ist in der reichen Bundesrepublik nicht doch „Geld genung da“? Letzteres meinen zumindest die Initiatoren des „Sozialpolitischen Ratschlags über Reichtum in Deutschland“, der morgen in der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik beginnt.
Weil ein als schicksalhaft suggerierter Sparzwang die Menschen einschüchtert, die soziale Phantasie lähmt, die Demokratie bedroht, wollen dort am Wochenende Sozial- und Steuerexperten, Gewerkschafter und Politiker über „den realen Reichtum in Deutschland“ sprechen. Sie wollen zeigen, „wie der Staat die Reichen immer reicher macht“, und ständige Umverteilung „den öffentlichen Wohlstand ruiniert“.
Da konnte etwa die jüngste Steuerschätzung, die Anlaß auch für weitere Kürzungen zu Lasten der Arbeitslosen ist, einen traurigen Rekord vermelden: Im Jahre 1995 wird der deutsche Staat erstmals mehr über die simple Tabaksteuer einnehmen als über die veranlagte Einkommenssteuer, in der sich die Einkommenssteuerzahlungen der Selbständigen, der Unternehmer und Freiberufler wiederfinden. Aus dem blauen Dunst werdem dem Staat dieses Jahr 20,6 Milliarden zufließen, aus der verlangten Einkommenssteuer nur noch 14,6 Milliarden.
Das mit der jüngsten Steuerschätzung diagnostizierte Loch von 26 Milliarden in den öffentlichen Kassen geht vor allem auf einen Zehn- Milliarden-Ausfall bei der Einkommenssteuer und sechs Milliarden Fehlbetrag bei der von den Unternehmen zu zahlenden Körperschaftssteuer zurück. Seit 1983 stiegen hingegen die Lohnsteuern von 129 Milliarden auf für 1995 geschätzte 284 Milliarden, die veranlagte Einkommenssteuer wird sich im gleichen Zeitraum fast halbiert haben.
Vom „Marsch in den Lohnsteuerstaat“, der sich nur noch aus Lohn-, Mehrwert- und Verbrauchssteuern finanziert, sprechen denn auch die Initiatoren der Hamburger Reichtums-Tagung. Sie sehen die Bundesrepublik als „ein Steuerparadies für Reiche“, in dem nur 55 Prozent der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen überhaupt als zu versteuerndes Einkommen in den Statistiken der Finanzämter auftauchen würden.
Mit ihrem Motto „Geld ist genug da! – Wo?“ zielen sie auch auf die riesigen, allerdings höchst ungleich verteilten Geldvermögen der privaten Haushalte von 4,3 Billionen Mark.
Der „Sozialpolitische Ratschlag über Reichtum in Deutschland“ beginnt am Freitag um 17 Uhr in der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik (Von-Melle- Park 9) und dauert bis Sonntag 13 Uhr.
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