: Wer weiß die richtige Antwort?
■ betr.: „Parteilinke geben keine Antwort auf Völkermord“, taz vom 11.11.95
Wer die Verbrechen von Srebrenica nutzt, um den Aufbau weltweit einsetzbarer Krisenreaktionskräfte zu rechtfertigen, bezeugt nicht realpolitischen Durchblick, sondern den Lernbedarf von Bündnis 90/Die Grünen in Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik. Moral und guter Wille reichen nicht. [...]
Daß die UN im ehemaligen Jugoslawien keinen Krieg führen wollten, war klar, auch wenn Erich Rathfelder es in der taz erst am 8.11.95 ausführlich erläuterte, als er die Verantwortung für Srebrenica vielen zuschob, nicht nur den Aggressoren. Darin steckt wie in der Argumentation der bündnisgrünen „Realos“ der Vorwurf an die Interventionsgegner, mitschuldig zu sein, mitschuldig am Völkermord. Welche Kosten und Opfer ein europäischer Krieg im ehemaligen Jugoslawien gefordert hätte, in dem die Nato zu mehr als Show- Einsätzen gekommen wäre, wird nicht diskutiert. Ohne eine entsprechende Kalkulation aber ist ein Militäreinsatz von vornherein politisch unverantwortlich.
Die Partei als drittstärkste politische Kraft in der Bundesrepublik muß ein tragfähiges Konzept in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln. Sinnvoll wäre es dabei, mit dem eindeutigen Ja zur Bundeswehr als Verteidigungsinstrument im Rahmen von Verteidigungsbündnissen mit klar definierten Aufgaben zu beginnen. Das Ja zur Intervention mit einer diffusen Völkermordklausel ist nur als unpolitische Gefühlsreaktion zu verstehen. Die Diskussion darüber lenkt davon ab, Strategien zu entwickeln, mit denen dem Entstehen gefährlicher Konflikte weltweit vorzubeugen und gewaltsamen Konflikten nichtmilitärisch zu begegnen ist. Für die Bundesrepublik besteht hier Nachholbedarf. Gerade das wird durch die jugoslawische Tragödie deutlich. Dieter Jahn, Hannover
[...] Die Überschrift und die Äußerungen prominenter „Realos“, daß die Parteilinke keine Antwort auf Völkermord gebe, erweckt den Eindruck, daß die Partei(rechte?) diese Antwort habe. Und das ist zum einen falsch und zum anderen überheblich.
Optimistisch gesehen sind die Grünen eine 15-Prozent-Partei. Von daher sollten sich zunächst einmal alle Diskutanten von der Vorstellung trennen, daß mit der Formulierung ihrer Konzepte Völkermord verhindert oder gestoppt werden könnte. Dafür sind die vielzitierten Interessen des Militärs und Nationalstaaten zu heterogen und der Einfluß der Grünen zu marginal.
Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums erklärte auf einer Anhörung der grünen Bundestagsfraktion am 11.11.95, daß er eine Verpflichtungsklausel zum Eingreifen bei Völkermord auf UN- wie auf nationalstaatlicher Ebene für völlig unrealistisch halte. Ein anderer Experte des Hearings sprach von einem militärischen Wunschdenken, welches das Militär nicht erfüllen könne. Gerade die Militärs pfeifen die „Völkermord-Interventionisten“ schon zurück.
Von einer deutschen Außenpolitik mit grünem Antlitz alleine wird es daher wohl keine weltweite Durchsetzung und Gültigkeit von Menschenrechten geben. Alles andere zu behaupten, ist eine überhebliche (deutsche) Arroganz. B'90/Grüne müssen sich von der Vorstellung verabschieden, sie könnten das Blutvergießen in Ex- Jugoslawien oder sonstwo auf der Welt beenden. Wir können es nicht, und das ist hart!
B'90/Grüne können aber die bundesrepublikanische Gesellschaft und Politik verändern. Es ist sogar ein Teil ihrer Aufgabe nach Art. 21 GG: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Hinter den Konflikten existiert unter den Grünen noch ein Grundkonsens (Cohn- Bendit & Co. einmal ausgenommen ...): Das Ziel grünen Engagements muß eine Zivilisierung und präventive Ausrichtung der Politik sein. Aufgabe der Grünen als gesellschaftsverändernde Kraft in der BRD ist es, die Diskussion über die alternativen Konzepte in die Gesellschaft zu tragen und sich dadurch dem militärischen Mainstream profiliert entgegenzustellen. Wenn es nach der Bremer BDK aber heißen würde, „Grüne akzeptieren den Einsatz militärischer Mittel“, dann wurde diese Aufgabe verfehlt.
Wenn die Grünen als ultima ratio das Militär anerkennen, wird sich die Diskussion auf die Ausgestaltung militärischer Aspekte richten. Es geht jetzt darum, die intellektuellen und finanziellen Ressourcen in konkrete Konzepte von Prävention und Sanktion zu stecken. Notwendig ist dafür ein offensives „Marketingkonzept“ für zivile Konfliktschlichtung. Ilja C. Hendel, Mitglied B'90/
Grüne KV Freiburg
Die Kriegsberichterstattung der taz nimmt immer seltsamere Formen an. Durften zu Golfkriegszeiten nur Kriegstreiber außerhalb der Redaktion (Biermann, Stephan und Broder) ihr Kampfgeschrei erheben, so übernimmt seit einiger Zeit die Redaktion das Geschäft selbst. Der Völkermord von Srebrenica hat eine lange Vorgeschichte, und wir sind nicht die waffenverteilenden Schiedsrichter, die entscheiden, wer gut und böse ist, wer zusammengeschossen oder versorgt wird. [...]
Im Kosovo kann unsere grüne Yuppierallala zeigen, wie ernst es ihr bei dem offensichtlich geplanten Völkermord mit der Unterstützung von zivilem Widerstand und gewaltfreien Aktionen ist. Das ist die Antwort auf Völkermord, den gewaltfreien Widerstand stützen, Fluchtbewegungen in schwierigen Situationen fördern, Friedensbewegungen in den betroffenen Ländern unterstützen.
[...] Wenn es wirklich um Moral ginge und nicht um Macht: die kriegsbesessenen ehemaligen Kriegsdienstverweigerer, die einstmals aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigert haben, sie müßten doch wohl zuerst eine ganz persönliche Erklärung abgeben.
Wie sagte Brecht, wie Kriege angezettelt werden? „Böse alte Männer, die selbst nicht kämpfen wollen, schicken die Kinder aus anderen Familien, die sich selbst nicht wehren können, zum Schlachten.“ Hartmut Bernecker,
Bietigheim-Bissingen
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