■ Der Wandel Südafrikas kam von innen. Ist das eine Perspektive auch für Nigeria, oder hilft nur ein Boykott?: Die Flüchtigkeit der Mode
Der 17. November 1993 war für Afrika ein großer Tag. Im Johannesburger „World Trade Center“ gingen die Verfassungsverhandlungen, die Südafrika von der Apartheid in die Demokratie führen sollten, feierlich zu Ende. Es war schon weit nach Mitternacht, da traten im Plenarsaal die Politiker ans Rednerpult und priesen unter den leuchtenden, wenn auch müden Augen zahlreicher Zuhörer die Geburt des „neuen Südafrika“.
Mitten in dieser Sternstunde der Demokratie, als unter den erschöpften Politikern und Journalisten auf der Tribüne ganz zaghaft fröhliche Stimmung aufkeimte, machte plötzlich ganz schnell eine völlig andere Nachricht die Runde: In Nigeria hatte es einen Militärputsch gegeben.
Das war die Stunde der Machtergreifung von General Sani Abacha, der heute wegen der Hinrichtung von Menschenrechtlern am Pranger der Welt steht. Die Gegensätzlichkeit der Ereignisse in Nigeria und Südafrika war zunächst nicht offensichtlich, tat doch General Abacha gleich nach seiner Machtergreifung so, als handele es sich nur um eine vorübergehende Maßnahme, bevor auch Nigeria endlich den eben erst unterbrochenen Weg zur Demokratie wieder einschlagen werde. Der Putsch im November 1993 folgte auf Monate der Ratlosigkeit, in denen der vorherige Militärherrscher, General Ibrahim Babangida, erst Wahlen abgehalten hatte und sie dann später annullieren ließ. Es konnte, so schien es, eigentlich nur besser werden.
Es wurde schlimmer. Der Sieger der Wahlen in Nigeria, Moshood Abiola, sitzt noch heute in Haft, von der Weltöffentlichkeit vergessen. Die Militärherrschaft blieb. 1998, so hat Abacha jüngst zum 35. Jahrestag der nigerianischen Unabhängigkeit versprochen, soll nun in seinem Land wieder Demokratie einkehren. Der ewige Übergang zur Demokratie ist eine Konstante der jüngeren Geschichte Nigerias. Seine Generäle haben gelernt, daß nichts von solcher Dauer ist wie ein Provisorium. Durch das immerwährende Vorgaukeln einer demokratischen Morgenröte irgendwann nach der leider unvermeidlichen Nacht der Militärherrschaft haben sie es geschafft, ihr Regime zu verewigen. Ibrahim Babangida lebte von dem immer wieder verschobenen Übergang zur Demokratie; auch Sani Abacha beherrscht nun dieses Spiel mit einer Virtuosität, an der Sisyphos seine wahre Freude hätte.
Nigeria und Südafrika haben vieles gemeinsam. Sie beide zusammen übertreffen an Wirtschaftsmacht und politischer Schlagkraft bei weitem den ganzen Rest des afrikanischen Kontinents. Aber die beiden Länder sind auch Gegenpole. Je finsterer sich eines von ihnen auf der Weltbühne benimmt, desto heller strahlt der Stern des anderen.
Heute ist es Südafrika, das als Modell der Demokratie und des friedlichen Fortschritts alle seine afrikanischen Nachbarn überragt, und es ist Nigeria, das als Paria der Welt in einer unentrinnbaren Dunkelheit gefangen scheint. Heute wünscht sich Südafrikas Nelson Mandela ein Ölembargo gegen Nigeria. Wer könnte sich vorstellen, daß es jemals anders war?
Aber erst vor fünfzehn Jahren durchlebte Apartheid-Südafrika mit dem Schüren von Kriegen bei den Nachbarn und der Massendeportation der eigenen Schwarzen in sogenannte Homelands seine schrecklichsten Zeiten, und Nigeria galt als der aufstrebende Retter Afrikas, der „gute Gigant“, wie ihn der britische Guardian beschrieb: frisch in eine Demokratie umgewandelt, nachdem Militärherrscher Olusegun Obasanjo – auch er heute ein politischer Gefangener Abachas – freiwillig die Macht abgegeben hatte; frisch auf dem Sprung in die Erste Welt, als die Öleinnahmen reichlich sprudelten wie nie; frisch in die Führungsposition Afrikas, bei den Befürwortern harter Sanktionen gegen Südafrika an vorderster Front streitend und sich nicht scheuend, das Eigentum der britischen Ölfirma BP zu beschlagnahmen, weil sie den Apartheid-Herren Öl verkauft hatte.
In seinen leuchtenden Zeiten um 1980 rüstete Nigeria seine Armee unter dem Motto eines afrikanischen Befreiers immer weiter auf – schließlich war sie so stark, daß sie das Monopol der Macht übernahm. Jetzt dauert die Diktatur immer länger an, und die Wirtschaftskrise auch. Nur das Öl fließt, denn den Ölkonzernen ist pro Barrel ein Mindesteinnahme von zwei Dollar 30 Cents garantiert, unabhängig von der Marktlage.
Von den Ölgeldern, deren Genuß sich die nigerianische Elite gesichert hat, hat die Bevölkerung so gut wie nichts. Sie lebt in einem Zustand des täglichen Elends und einer dauernden Improvisation. Diese fällt gezwungenermaßen nicht weniger virtuos aus als die demokratietheoretischen Luftkünste des über sie herrschenden, in die Sphären der Finanzkriminalität entrückten politisch-militärischen Komplexes.
Es drängt sich förmlich der Wunsch auf, diesem Komplex die Luft abzudrehen. Nur fehlen dazu die Mittel, und es fehlt die Klarheit über die möglichen Auswirkungen zum Beispiel eines Ölembargos. Auch gegen Südafrika, das von Gold und Diamanten lebt wie Nigeria vom Öl, wurde ja nie ein Goldembargo verhängt. Der südafrikanische Wandel kam von innen.
Nigerias Diktatoren, so seufzte kürzlich Wole Soyinka, hangeln sich von Untat zu Untat, und auch Ken Saro-Wiwa wird bald vergessen sein, wenn das nächste Verbrechen seine Hinrichtung überschattet. Der nigerianische Schriftsteller Soyinka weiß, wovon er spricht. Schon nach der Wahlannullierung von 1993 rief er die Weltöffentlichkeit zu Sanktionen gegen die Militärdiktatoren auf, und alle heutigen Boykottforderungen gegen Nigeria stehen schon in seinem damals veröffentlichen Aufruf (dokumentiert in der taz vom 17. August 1993, Seite 3). Damals nahm keiner Notiz. Heute ist die Öffentlichkeit zutiefst empört. Rational ist das nicht. Die Nigeria-Boykott- Diskussion ist eine Modeerscheinung, und von der Flüchtigkeit der Mode profitieren die Diktatoren. Dies, mehr als alle Sanktionen oder Nichtsanktionen, ist der Garant ihres Überlebens.
Vielleicht erlebt ja auch Nigeria einmal einen Tag der stillen Freude, wie ihn Südafrika am 17. November 1993 genoß. Vielleicht macht auch dann die Nachricht von einem Putsch die Runde, ein Putsch in einem unbekannten Land irgendwo auf der Welt. Und vielleicht müssen dann die Bewohner dieses unbekannten Landes nicht volle zwei Jahre warten, bevor es jemand merkt. Dominic Johnson
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