: Vom Regal geräumt
■ Supermarkt-Weine der niederen Preisklasse auf dem taz-Prüfstand / Ein selbstloser Versuch, protokolliert von Heinz-Günter Hollein
Exklusivität war ausgeschlossen, als sieben tazlerInnen das Wagnis eines Feldversuchs als Supernasen auf sich nahmen. Über neun Weine – drei weiß, drei rosa, drei rot – zwischen Pro und Plus nach Aufmachung und Herkunft aus dem Regal gegriffen, galt es ohne Ansehen der Flasche das Urteil zu sprechen. Die einzige und dank der alternativen Topgehälter auch ohne weiteres befolgbare Vorgabe war die obere Preisgrenze von 6,50 Mark je Flasche.
Findet sich im Probenprotokoll der stellvertretenden Redaktionsleiterin M. zu Proband Nr. 1 noch ein distinguiertes „Vordergründig-Unentschieden“, so gab Jungredakteurin H. der Forschheit ihres Alters freien Lauf. „Gut, daß das nur der erste ist“, befand sie knapp, aber nicht ohne Optimismus.
(Nr. 1: „Ihringer“ Müller-Thur-gau 1993: toom DM 5,49)
Auch Nr. 2 profitierte vom Hoffnungsbonus. „Lecker ist anders, gibt aber schlimmeres“, wußte der Ex-Sportredakteur, der einmal Koch werden wollte. „Mittelherb und eher langweilig, da macht man nichts falsch“, qualifizierte die frisch zugereiste „Viertelesschlotzerin“ P. das Produkt ohne landsfrauliche Vorbehalte als für hiesige Gaumen gängig.
(Nr. 2: „Deinhard Yello“ 1994: Plus DM 4,99)
Nr. 3 war schlicht korkig, was sich beim Umweltressort prompt in der Vermutung „Elbe Nordhang“ niederschlug.
(Nr. 3: „Oestricher Lenchen“ Riesling: minimal DM 4,99)
„Wie aus der Kooperative“, lautete der eher vage Befund zu Nr. 4. Ein bei näherem Beriechen als Sherry-Geschmack ausgemachter Störfaktor erklärte sich bei der Enttarnung durch den Jahrgang. Ein zwei Jahre alter Rosé dieser Preisklasse mit unklarer „Lagergeschichte“ ist eben nicht mehr der Frischeste. Die Runde übte jedoch bereitwilliges Verzeihen, als sich erwies, daß es sich um einen Korsen, mithin einen politisch noch gerade korrekten Vertreter Frankreichs, handelte.
(Nr. 4: „Réservé du Président“ Corsaire Rosé 1993: minimal DM 4,99)
Eine zwar vorübergehende, aber doch wenig schöne Lynchstimmung kam auf, als Nr. 5 den point of no return auf der Zunge überglitten hatte. „So verzweifelt darf niemand sein, daß er das trinken will,“ urteilte selbst Holsten-Liebhaberin J.
(Nr. 5: „König Arthur“ Qualitätswein Rosé 1994 Republik Mazedonien: Aldi DM 2,49)
„Würzig, harzig, trinkig“, wurde nach der vorausgegangenen Gaumenprüfung Nr. 6 erleichtert begrüßt.
(Nr. 6: „Vin de Crete“, Rosé 1994: Pro DM 5,99)
Nach dem Gewitter auf halber Strecke hellten sich die Gesichter denn auch bei den verbleibenden drei Roten zunehmend auf. „Durchaus, gekauft, ganz lecker“, schraubte sich die Prädikatsskala von den Nrn. 7 bis 9 in feiner Abstufung nach oben. Vereinzelt zeigte sich das für Weinproben nicht untypische Phänomen des Sich-Festtrinkens, auch erste Assoziationen zur Kulinarik stellten sich ein. Die Vorstellungen kreisten, möglicherwerweise jahreszeitlich bedingt, allerdings eher um Deftiges und gerieten nach vielversprechenden Anfängen wie „Lammfilet auf Spinat“ (Bardolino) mit „Bratkartoffeln“ (Ventischer Cabernet) und „noch mehr Kartoffeln“ (Rioja) allerdings auf ein eher einseitiges Ernährungsgleis.
(Nr. 7: Bardolino Classico 1994: Pro DM 2,99 / Nr. 8: „Villa Alberti“ Cabernet del Veneto 1994: Aldi DM 2,99 / Nr. 9: „La Estocada“ Rioja 1994: Aldi DM 3,99)
Bis auf die drei Unglücksraben („Oestricher Lenchen“, „Corsaire Rosé“ und „König Arthur“) wurden bei der „Aufarbeitung“ dann auch die zuerst als enttäuschend empfundenen deutschen Weißen für eine „unkritische Herangehensweise im Feten-Fall“ als hinnehmbar hochgestuft. Als verläßlichste Kaufquelle mit zwei „Bestbenotungen“ bei drei Käufen erwies sich ausgerechnet Aldi, wenn auch der makedonische Knallköm hart an den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung heranreicht.
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