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Aus der Tiefe der Weltrangliste

Die Newcomer Wayne Ferreira (Südafrika) und Thomas Enqvist (Schweden) sorgten bei der ATP-Weltmeisterschaft für Furore  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Bis Donnerstag abend bewegte die in der Festhalle zu Frankfurt am Main versammelten Tennisfans nur eine einzige Frage: Wer eigentlich kann Pete Sampras bei dieser Weltmeisterschaft noch schlagen? Dann gab Wayne Ferreira (24) die überraschende Antwort: Wayne Ferreira. Der als Nachrücker für den erkrankten Andre Agassi aus dem Safari-Urlaub nach Frankfurt eingeflogene Südafrikaner schlug den amtierenden Champion und Weltranglistenführer mit 7:6, 4:6 und 6:3. Das war aus der Sicht von Ferreira trotz famoser Leistung exakt ein Satzverlust zuviel. Denn hätte er gegen Sampras in zwei Sätzen gewonnen, wäre an seinem Halbfinal-Einzug nicht mehr zu rütteln gewesen. So aber mußte er auf den Ausgang des Matches Becker – Kafelnikow warten und hoffen, daß der Russe wenigstens einen Satz gegen den Deutschen gewinnen würde.

Auf jeden Fall haben sich die drei Neulinge bei dieser ATP- Weltmeisterschaft wacker geschlagen. Allen voran der Schwede Thomas Enqvist (21), der in der Roten Gruppe nach klaren Siegen gegen Jim Courier und Michael Chang (6:1, 6:4) als zweiter Spieler nach Pete Sampras das Halbfinale erreichte. Der Fan von U 2 und Pearl Jam fegte Chang im ersten Satz schlicht vom Court, und der US-Amerikaner chinesischer Abstammung sagte Enqvist nach diesem Match eine große Zukunft voraus: „Thomas wird die Nachfolge von Björn Borg, Mats Wilander und Stefan Edberg antreten.“ Der junge Mann spiele „extremely cool“ wie alle Schweden, und auf seinen Schultern sitze ein kluger Kopf. Enqvist selbst stellte schlicht fest, daß er den Ball gegen Courier und Chang „gut getroffen“ habe. Das war Understatement, denn der junge Mann aus Stockholm hat den Ball in fast allen Situationen perfekt getroffen.

Enqvist hat fest vor, sich an der Spitze zu etablieren. Kein anderer Spieler vor ihm hat in nur sieben Monaten die Weltrangliste so aufgerollt: von Rang 60 auf Platz acht. Gewonnen hat er 1995 die Turniere in Auckland, Philadelphia, Pinehurst und Indianapolis und dabei Stolpersteine wie Andre Agassi, Goran Ivanisevic oder Michael Chang locker aus dem Weg geräumt. Enqvist ist übrigens ein Stubenküken: „Ich liebe die Halle – aber ich hasse Gras.“

Der zweite Newcomer auf dem Court in Frankfurt, Wayne Ferreira, verlor zwar sein Auftaktmatch gegen Boris Becker knapp in drei Sätzen, hielt sich dann aber an dem armen dritten WM-Debütanten, Jewgeni Kafelnikow, und an Pete Sampras schadlos. „Easy going“ ist das Motto des Mannes aus Johannesburg. Und auf dem Court bewegt sich Ferreira oft mit einer, den Gegner provozierenden, an der Faszination der Langsamkeit orientierten Lässigkeit. Doch seine Aufschläge kommen hart und plaziert. Und die Geduld, die Ferreira beim Grundlinienspiel aufweist, bringt seine Kontrahenten oft genug aus der Fassung – und vorschnell ans Netz. Das späte Aufstehen und das Biertrinken hat ihm sein Coach Keith Diepraam allerdings abgewöhnt. „Disziplin mußte gepaukt werden“, sagte Diepraam: „Und das war keine leichte Aufgabe. Der Kerl mußte immer angetrieben werden und wollte sich nicht schinden.“

Enqvist im Halbfinale, Ferreira nahe dran – von den drei Neuen mußte nur Jewgeni Kafelnikow vorzeitig und ohne Hoffnung seine Koffer packen und zurück nach Sotschi am Schwarzen Meer reisen. „Ich fühle mich ziemlich mies, denn für mich ist die Weltmeisterschaft schon beendet“, konstatierte Kafelnikow enttäuscht nach seiner Niederlage gegen Ferreira. Für die Experten der Szene stand allerdings schon vor dem Turnier fest, daß Kafelnikow nur mäßige Aussichten haben würde, die „Round Robin“ zu überstehen und in das lukrative Halbfinale (320.000 Dollar) einzuziehen. Zu viele Verletzungen habe der Russe in den letzten beiden Jahren auskurieren müssen.

Und in der Welt des Kapitalismus findet sich der Ex-Eleve von Ex-UdSSR-Trainer Anatoli Lepeshin offenbar auch nur schwer zurecht: Vom Lohn für seine ersten großen Siege vor zwei Jahren kaufte sich Kafelnikow umgehend den roten Ferrari, von dem er schon zu roten Zeiten unter der Fuchtel seines roten Trainers träumte. Und einen Teil seiner bislang gewonnenen Preisgelder in Höhe von 2,5 Millionen Dollar brachte er nicht zur Bank, sondern in den Spielbanken der Welt glatt durch. Bedauern muß man den jungen Russen deshalb nicht. Alleine für die Qualifikation für Frankfurt und für die Teilnahme am Turnier werden ihm 105.000 Dollar überwiesen. Da kann man im nahen Bad Homburg schon einmal ein paar Mark auf „Cheval“ setzen. Zum Glück für Kafelnikow wurde das Rad erfunden.

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