: Betr.: Leipziger Bahnhof
Der Leipziger Bahnhof, 1915 in Betrieb genommen, ist der größte und leerste Kopfbahnhof Europas. Nur noch 38.000 Menschen nutzen ihn heute täglich, früher waren es bis zu 600.000. Die Deutsche Bahn AG will den Jugendstilkoloß deshalb in ein Erlebniscenter mit Gleisanschluß verwandeln. Bis 1997 erhält der Bahnhof für eine halbe Milliarde Mark ein neues Innenleben mit Boutiquen, Gaststätten und einem mehrstöckigen Parkdeck. Der Bahnhof werde nach dem Umbau „nicht wiederzuerkennen sein“, soll ein Sprecher der Bahn AG gesagt haben. Genau das wollen die Leipziger nicht. Seit Wochen tobt in der Stadt ein Streit. Tenor: Der Westen nimmt uns unsere Identität! Eine Bürgerinitiative, der auch Kurt Masur angehört, hat 25.000 Unterschriften für den „Erhalt des historischen Bahnhofs“ gesammelt. Die Umbaugegner wollen nicht, daß er sein Gesicht verliert – und daß nach dem Umbau der Frankfurter Hauptbahnhof zum größten Kopfbahnhof Europas avanciert. „Frankfurt am Main wird sich kaputtlachen“, schrieb ein Leser der Leipziger Volkszeitung.
Leipzigs Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD), ein Westler aus Hannover, ist vom Protest überrascht und bezeichnet ihn als „hochgradig irrational“. Der OB hat durchsetzen können, daß die Autos nun nur ebenerdig parken werden. Die Bahn hofft, daß Autofahrer dadurch verlockt würden, auf die Bahn umzusteigen, wenn sie erst mal bis kurz vor die Zugtür fahren können. Die Umbaugegner halten das für ein Scheinargument. Die Bahn wolle das Einkaufen so attraktiv wie möglich gestalten, nichts sonst. Bezeichnend für das Verhältnis der Leipziger zu ihrem Banhof ist ein Initiativen-Vorschlag: Auf den Gleisen 24 bis 26 sollten Raritäten aus der Dampflokzeit ausgestellt werden.
Zu spät: Am letzten Montag haben die Bauarbeiten begonnen. itz
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