: Keine wandelnden Zeitbomben
■ Freie Träger fordern zusätzliche Gelder für interkulturelle Jugendarbeit
Die freien Träger interkultureller Jugendarbeit gehen in die Offensive und fordern zusätzliche Gelder: Schon heute sind 20 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland Kinder von eingewanderten Eltern. Aber Jugendarbeit, Schule und Berufsausbildung vernachlässigen die besonderen Bedürfnisse dieser großen Gruppe der 10 bis 18jährigen, hieß es am Donnerstag im Lagerhaus Schildstraße. Hohe Arbeitslosigkeit unter ausländischen Jugendlichen sei nur eine drastische Folge davon. Das müsse dringend geändert werden – mit Sprachkursen, Hausaufgabenhilfen und Freizeitangeboten. Soweit nur einige der zahlreichen Forderungen, die das neue Grundlagenpapier der „Arbeitsgemeinschaft deutsch-ausländische Jugendarbeit“ benennt. BehördenvertreterInnen erarbeiteten es gemeinsam mit 15 bremischen Jugendeinrichtungen, vom Hemelinger Freundschaftshaus bis zu den „Gewitterziegen“.
Die weitestgehende Forderung der multinationalen Arbeitsgemeinschaft beschränkt sich dabei nicht auf die Jugendarbeit allein. Integrationspolitik müsse in allen Bereichen offensiv und mit allen rechtlichen und sozialen Kosequenzen durchgesetzt werden, fordert das Gremium. Voraussetzung dafür sei die Einstellung qualifizierter AusländerInnen mit multikulturellen Kompetenzen – nicht nur in der Jugendarbeit. Dort allerdings müßten zusätzlich MigrantInnen eingestellt werden.
„Den ausländischen Jugendlichen der zweiten Generation fehlt es überall an Vorbildern“, sagte Leman Ali Khan, Pädagogin der Jugendinitiative Schildstraße. „Egal wo sie hinschauen, überall sind nur Deutsche.“ Durch kulturelles und sprachliches Unverständnis würden Jugendliche deshalb immer noch ausgegrenzt. „Die Hauptschule ist jetzt schon die Regelschule für ausländische Kinder.“
„Das Problem beginnt damit, daß du wegen Sprachschwierigkeiten eine Klasse zurückgestuft wirst“, schilderte der 18jährige Murat. „Hinterher hast du nicht nur Schulprobleme, bei denen dir immer noch keiner hilft. Du bist auch noch anders und älter als die meisten. Umso schneller wirst du zum Außenseiter.“ Selbst die abgeschlossene Berufsausbildung schütze nicht, ergänzte Birute Freimuth vom Alkoholfreien Jugendcaf Tenever: „Alle Jugendlichen, die bei uns eine gewerbliche Ausbildung haben, arbeiten als Hilfsarbeiter.“ Diese Erfahrung bestätigten die zwölf ausländischen und deutschen Jugendlichen, die aus verschiedenen Einrichtungen ins Lagerhaus gekommen waren, um die jugendpolitischen Forderungen der PädagogInnen zu unterstützen.
Dabei sprachen die Jugendlichen auch umstrittene Themen an: „In die Disco wirst du am ehesten reingelassen, wenn du randalierst“, berichtete ein junger Türke, dem man den Eintritt ursprünglich verwehrt hatte. Heute ist er Disco-Stammgast, weil die Türsteher Angst vor ihm haben. „Mit Gewalt erreichst du was. Das ist Scheiße, aber wahr.“
Da geraten viele Jugendliche in die Zwickmühle. „Ich will nicht als Zeitbombe gesehen werden“, sagt einer, aber er wolle genausowenig ewig im Abseits stehen. Auch religiöse oder nationalistisch orientierte Gruppen seien für ihn keine Alternative. „Auch wenn ich verstehen kann, wenn jemand da mitmacht“, ergänzte er. „Diese Organisationen haben Zulauf, weil es eine große Verunsicherung der Migranten gibt“, betont auch Cemal Kocas vom Hemelinger Freundschaftshaus. Für interkulturelle Jugendarbeit dürfe Religion kein Tabu sein.
„Jugendarbeit ist immer noch in der Defensive. Aber in dieser Hinsicht sind wir ein Vorbild“, faßte Uli Barde die Selbsteinschätzung der kleinen Träger zusammen. Mittlerweile werde das sogar in Schulen und Behörden anerkannt – mit zweideutigen Konsequenzen: „Manchmal versuchen überforderte Lehrer, uns ihre Probleme mit den Schülern aufzubürden.“ Da allerdings habe Jugendarbeit ihre Grenzen trotz großer Erfolge: „Bei nachgeholten Hauptschulabschlüssen hatten kleine, multikulturelle Träger eine Erfolgsquote von 100 Prozent – und das mit Jugendlichen, die als unbeschulbar gelten“, berichtet Cem Teskin vom Verein für Jugendliche aus der Türkei. Doch je mehr im öffentlichen Bereich gespart werde, umso mehr steige die Belastung in der Jugendarbeit, wo es überall an qualifizierten JugendarbeiterInnen fehle, die mehrere Sprachen sprechen und sich auch im Ausländer-, Schul- und Einbürgerungsrecht auskennen. ede
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