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■ Auch das noch – ein Paternoster als TheatermaschineBlutbad im Finanzamt

Düsseldorf (taz) – Gedränge im Finanzamt und das zur Abendstunde. Endet heute vielleicht irgendeine Antragsfrist? Nein, hier hat ein Schauspiel Premiere. Den ungewohnten Ort hat die Künstlerschar um Regisseurin Sonja Weber wegen des alten Paternosters gewählt, der hier seit den fünfziger Jahren wacker seine Runden zwischen Keller und sechster Etage dreht. Ein unermüdliches Schaufelrad zum Auf- und Niederbefördern von Papier und Personal, früher auch von BesucherInnen.

Aufzüge dieser Art sind bekanntlich vom Aussterben bedroht. Die Feuerpolizei betrachtet sie als gefährliche Luftschächte. Denkmalschützer dagegen möchten sie gern erhalten – und eben auch Kunstbesessene wie Sonja Weber, die schon den Paternoster des Oberhausener Rathauses mit einer Lesung adelte.

„Agamemnon – Ein interdisziplinäres SchauSpiel“ nennt sich das Düsseldorfer Projekt. Ihm liegt das Drama „Blutbad“ des Österreichers Gustav Ernst zugrunde: Der Kriegsherr kehrt heim, verroht und abgestumpft bis zum äußersten. Klytämnestra hört sich seinen widerlichen Redeschwall eine Weile an, dann, statt sich ehelich vergewaltigen zu lassen, tötet sie dieses Monster der Schlachtfelder. Willkommen also zum Himmelfahrtskommando. Im Halbdunkel des Foyers flimmern zwei Monitore. Auf dem einen ist ein nackter Männeroberkörper im Wasser zu sehen, auf dem anderen, höher stehenden das Dekolleté einer Frau: Der Mord im Bade kann beginnen ...

Zwei Musikanten spielen auf. Eine weißgewandte Tänzerin erwacht zu Leben. Alle drei entschwinden im Aufzug. Tuba und Saxophon hallen nach. Jetzt kommt Bewegung in eine elektrifizierte Drahtplastik: Eine Gestalt schlägt monoton auf eine zweite ein, die sich am Boden windet.

Je zwei Zuschauer werden nun in die engen Holzkabinen geschleust. Auf jeder Etage erhaschen sie im Vorübergleiten Momente der jeweiligen Szenerie. Je höher sie steigen, desto dramatischer das Geschehen. 1. Etage: Eine erstarrte Landschaft aus stählernen Scheiben wie Bunkerluken. Seltsame Schnorchel ragen daraus hervor. 2. Etage: „Agamemnon, das Vieh“ – ein riesenhafter, gehörnter Götze aus Technoschrott. 3. Etage: Eine Performancekünstlerin macht ihren bekleideten Körper buchstäblich zur Projektionsfläche für nackte Mannsbilder. 4. Etage: Archaische Wehklage in zerknülltem Papier. 5. Etage: Eine Frau tändelt mit einer Gliederpuppe. 6. Etage: Der Titelheld kotzt seiner Gemahlin eine obszöne Tirade an den Kopf.

Die Kabine erreicht knirschend den Scheitelpunkt, jetzt geht die Reise wieder abwärts, drei Runden dauert sie insgesamt. Beim Schrottvieh taucht irgendwann ein Trupp grauer Krieger auf, der Jammer im vierten Stock geht in irres Lachen über, die Puppe (Orest?) hält plötzlich ein Messer in der Hand, Agamemnon ist verschwunden, Klytämnestra räumt einige Geräte weg, die Diaschau im dritten Stock scheint dagegen kein Ende nehmen zu wollen. Im Foyer tragen jetzt manche BesucherInnen fette schwarze Male auf der Stirn. Hier scheint in der Zwischenzeit eine Hohepriesterin am Werk gewesen zu sein.

Das Bläserduo flaniert unverdrossen und lautstark durch die Menge. In seine Klänge mischt sich hin und wieder der elektrische Eiszerhacker von der Bar drüben, wo es blutrote Cocktails gibt. Die Totschlägerplastik arbeitet noch immer. Am Ausgang stecke ich mir instinktiv ein Info ein: Tips zur Erbschaftssteuer. Olaf Cless

Finanzamt Düsseldorf Altstadt, Ecke Kaiser-/Gartenstraße. Weitere Termine: 20. bis 25. November, jeweils um 20 Uhr

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