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Über eine Million Katholiken haben sich von den Drohungen der deutschen Bischofskonferenz nicht schrecken lassen. Sie haben das Kirchenvolksbegehren unterzeichnet: für die „Gleichberechtigung von Frauen“, für die „positive Bewertung der Sexualität“ und gegen Zwangszölibat Aus Hannover Jürgen Voges

Immer mehr Gläubige predigen öffentlich Wein

Hinten im Saal zählen sie immer noch, 50 Frauen und Männer ordnen wie am Vortag die Berge von Listen: nach der Zahl der Unterschriften und nach dem Anteil der Nichtkatholiken – um dann die Blätter mit den vier Forderungen des Kirchenvolksbegehrens für eine schnelle Schlußzählung in Hunderter-Stapeln zu bündeln.

Um 13 Uhr dann kann im Foyer der hannoverschen „Hermann- Ehlers-Akademie“ der penibel Aufsicht führende Notar zumindest ein Zwischenergebnis bekanntgeben: „Um zwölf Uhr waren etwa 70 Prozent der Listen ausgezählt“, verkündet Paul Müller- Kemler. „Bis dahin entfielen auf das Kirchenvolksbegehren etwa 967.300 Stimmen, davon haben sich 787.000 Unterzeichner ausdrücklich als römisch-katholisch bezeichnet.“

Der Notar hat genügend Stich- proben genommen. Mit 1,4 Millionen Unterschriften für „eine geschwisterliche Kirche“, für kirchliche „Gleichberechtigung von Frauen“, gegen den Zwangszölibat und für eine „positive Bewertung der Sexualiät“ können die Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens rechnen. Die rund 1,1 Millionen Katholiken darunter haben sich auch von den Drohungen der katholischen deutschen Bischofskonferenz nicht schrecken lassen. „Es hat eine innere Reform der katholischen Kirche in Deutschland stattgefunden“, kommentiert der Paderborner Theologe Professor Peter Eicher das Ergebnis. „Es ist deutlich geworden, daß es einen humanen Katholizismus gibt, daß die Gemeinden auch verheiratete Priester akzeptieren, daß sie die kirchliche Rechtlosigkeit der Frauen satt haben.“

Christian Weisner, einer der drei Hauptinitiatoren der durch 160.000 Spenden-Mark finanzierten Kampagne, hat das Zwischenergebnis sofort nach Bonn an die Deutsche Bischofskonferenz zu faxen. Dieses Fax hatte Oberbischof Lehmann zur Bedingung eines Gesprächs über das Volksbegehren gemacht, das er mit den Initiatoren am 2. Dezember führen will.

Eineinhalb Tonnen Briefe hat die Post in den vergangenen 12 Tagen bei Christian Weisner in Hannover-Laatzen angeliefert. Zu zehnt haben sie dann täglich nach Feierabend bei ihm in der Küche die Briefe geöffnet und die Listen in Lebensmittelkartons vom Supermarkt nebenan verpackt. Christian Weisner zählt sich zur „Kirche von unten“, jener Gruppe engagierter Katholiken, die parallel zu den Kirchentagen eigene Veranstaltungen etwa zu Friedens- oder Dritte-Welt-Themen organisiert. Der 44jährige Stadtplaner, der mit seinen dunklen Jeans, dem hochgeschlossenen Pulli und dem sorgfältig gestutzten Vollbart durchaus als Pfarrer durchgehen könnte, war früher Meßdiener. Geprägt habe ihn dann mit 14, 15 Jahren die Aufbaustimmung in der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Daß nun ausgerechnet hier in der CDU-nahen Hermann-Ehlers- Akademie ausgezählt wird, sei reiner Zufall, sagt Weisner, die Räume habe eine Bekannte vermittelt. Die 80 ZählerInnen haben um neun Uhr am Samstag die ersten Kartons in Angriff genommen, ein Teil hat bis nach Mitternach durchgearbeitet. Viele schon Ergraute sind unter diesen korrekt und unauffällig gekleideten Frauen und Männern und nur zwei, drei junge Leute.

Hier sind gläubige Christen am Werk, die um ihre Kirche fürchten. „Wir sind Kirche“, steht in lila Schrift auf gelbem Grund auf jenem Button, den die meisten hier angesteckt haben und der über die 750 Aktionskreise des Kirchenvolksbegehrens 3.600mal verkauft worden ist.

Keineswegs wollen diese Gläubigen Karol Woytila vom Papstthron stürzen. Nur ein wenig demokratisieren will das Volksbegehren die römische Kirche, will mit längst überfälligen Reformen auf deren Krise antworten. Bei der Ernennung von Bischöfen verlangt es „Mitsprache und Mitentscheidung der Ortskirchen“. Bisher mache allein das jeweilige Domkapitel jenen Dreiervorschlag, aus dem Rom dann den neuen Bischof auswählt, sagt etwa Mitinitiator Dieter Grohmann in einer Zählpause.

„Warum soll nicht künftig ein Kirchenparlament der Diözese über diesen Dreiervorschlag beschließen?“ fragt der Mitherausgeber der Zeitschrift Publik Forum, der im Hauptberuf Pressesprecher einer großen Versicherung ist. Der Dortmunder kommt aus der katholischen Arbeiterbewegung und hat in den letzten Wochen 50 Diskussionen zum Kirchenvolksbegehren absolviert: „Jedes Jahr treten 150.000 Männer und Frauen aus der katholischen Kirche aus. Die dritte Generation von Jugendlichen in Folge droht jetzt der Kirche verlorenzugehen“, rekapituliert er die Eckdaten der Kirchenkrise.

Natürlich sei der Zwangszölibat die Ursache des eklatanten Priestermangels. „Es gibt in der Bundesrepublik über 1.000 verheiratete ehemalige Pfarrer. Die würden doch mehrheitlich sofort in den Gemeindedienst zurückkehren, wenn der Zwangszölibat weg wäre“, schimpft Grohmann auf die offizielle Heuchelei, die der katholischen Kirche eine schier endlose Kette von Skandalen und Skandälchen beschere. Sicher, die wichtigsten Forderungen des Volksbegehrens würden schon seit 20 Jahren in der Kirche diskutiert. Die deutsche Bischofskonferenz habe recht, das alles sei schon in den siebzieger Jahren als Bitte an Rom formuliert. „Nur passiert ist eben in den letzten 20 Jahren nichts“, empört sich Grohmann: „Neu ist bei uns eigentlich nur die Forderung nach voller Gleichberechtigung der Frauen.“ Aber da solle man mal nach Lateinamerika fahren. Dort würden in einigen Ländern wegen des Priestermangels 60 bis 70 Prozent der Gemeinden von Frauen geleitet. „Warum kann man diese Gemeindekatechetinnen nicht endlich zum Priester weihen, wo sie doch längst wie Priester arbeiten?“

Auch wenn hier in der Hermann-Ehlers-Akademie zwei Männer der Presse Rede und Antort stehen – unter den ZählerInnen herscht mehr als Geschlechterparität. Auch in den Gemeinden selbst waren es vor allem die Katholikinnen, die das Kirchenvolksbegehren getragen, die Unterschriften gesammelt und nach Hannover gesandt haben. Für die Initiatoren zählt jetzt am Ende keineswegs nur die Zahl der Unterzeichner. Sie sind stolz, daß sie die noch aktiven Gemeindemitglieder für ihre Aktion gewonnen haben und vor allem darauf, daß „hierzulande noch nie so viele katholische Christen auf einer so großen Zahl von Veranstaltungen theologische Grundfragen diskutiert haben“.

Fleißig mitgezählt hat auch die 17jährige Annabella aus Hannover. Sie könnte die Papstkirche noch als neues Schäfchen gewinnen: „Ich bin gläubig“, sagt das Mädchen, „aber noch nicht getauft, weil meine Mutter evangelisch und mein Vater katholisch ist. Ich tendiere mehr zur katholischen Kirche.“ „Aber erst mal will ich sehen, wie das mit dem Kirchenvolksbegehren ausgeht.“

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