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Wirf die taz weg! Sei ein Baum!

Trotz Computer werden noch immer riesige Papiermengen am Drucker verbraucht: „Info“ und „Öko“ waren die Themen der „Doors of Perception“, einer in Amsterdam stattfindenden Tagung zu Internet und Cyberspace  ■ Von Tilman Baumgärtel

Dieser Artikel ist überflüssig. Und umweltschädlich. Für die Zeitung, in der er gedruckt wurde, wurden schließlich irgendwann mal Bäume gefällt! Produktion und Druck kosten auch ganz ordentlich Strom!! Und dann auch noch diese Transportkosten, damit das Blatt irgendwann am Kiosk oder im Briefkasten liegt!!! Nein, solche Produktions- und Vertriebsmethoden sind im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß. Schließlich gibt es billigere und umweltfreundlichere Methoden, um an Informationen zu kommen. Zum Beispiel das Internet ...

So etwas Ähnliches muß man sich wohl beim Niederländischen Design-Institut gedacht haben, als man das Thema für die diesjährige „Doors of Perception“ gewählt hat. Die jährliche Konferenz, die ihren Titel aus einem Gedicht von William Blake hat, soll die „Pforten der Wahrnehmung“ weiter aufstoßen, eine normale Fachkonferenz für Designer: Im letzten Jahr diskutierte man die Frage, wie unser Zuhause im Multimediazeitalter aussehen wird; diesmal lautete der Titel schlicht: „Info-Eco“. In Vorträgen, Workshops und Diskussionen ging es im Amsterdamer Kulturzentrum Paradiso darum, wie man mit neuen Informationstechnologien und Kommunikationsnetzen wie dem Internet Umweltzerstörung verhindern kann.

Der Wirbel, den die Computerindustrie, die Deutsche Telekom und Focus im Augenblick um den sogenannten Informationshighway veranstalten, wirkt vor diesem Hintergrund plötzlich eskapistisch: Interessierte Kreise versuchen zur Zeit, uns zu verklickern, daß der Cyberspace – der technische Raum, in dem wir per Telefon, Fax oder Computer telekommunizieren – eine Art Alternative zur physisch erfahrbaren Realität sei, während gleichzeitig die Symptome globaler Umweltzerstörung in der wirklichen Welt immer schwieriger zu ignorieren sind.

Aber könnten die neuen Medien nicht auch dazu beitragen, unsere Umwelt zu schützen? Schließlich kann man per Internet unter anderem Informationen verbreiten, die zur Zeit häufig noch auf einem Material verbreitet werden, das aus toten Bäumen hergestellt wird und für das ganze Wälder abgeholzt werden: Papier. (Ja, taz- LeserIn, kehr um! Wirf die umweltbelastende taz-Papierausgabe weg, die im Augenblick noch deine Hände beschmutzt! Bereue und wende dich der elektronischen taz im Internet zu, um diesen Artikel zu Ende zu lesen: http:// www.prz.tu-berlin.de/taz).

Und nicht nur Information kann mit Computern und Internet ohne die Vernichtung von Ressourcen übermittelt werden, auch die physische Anwesenheit bei Besprechungen, Meetings und Konferenzen kann in vielen Fällen durch Telekonferenzen ersetzt werden („Telepräsenz“); statt täglich ins Büro zu pendeln, könnten viele Schreibtischtäter auch zu Hause am Computer ihrer Arbeit nachgehen („Teleworking“) oder sich weiterbilden („Telelearning“): Wenn der User oder die Userin nicht zur Information kommt, kommt die Information in Zukunft zu ihnen.

Da stellt sich eigentlich nur eine Frage: Warum sind wir alle dann nach Amsterdam gekommen? Die Vorträge und die Ergebnisse könnten von jedem vernetzten Computer der Welt von einer eigens eingerichteten Homepage im Internet abgerufen werden (URL- Adresse: http://www.design-inst.nl/ Dome).

Wenistens vorläufig scheint es doch auch nötig zu sein, daß sich auch die Siedler im Cyberspace gelegentlich im guten, alten „Meatspace“ physisch und anfaßbar gegenübertreten. Denn Sinn der Veranstaltung war es auch, die Ökologiebewegten und die Computer- Community, die sich normalerweise nicht viel zu sagen haben, zusammenzubringen.

Wieviel Ressourcen wir zur Zeit für Informationsvermittlung verschwenden, demonstrierte John Thackara, Direktor des Niederländischen Design-Instituts, gleich zu Beginn der Konferenz auf recht drastische Weise: „Ein Inder verbraucht pro Jahr soviel Papier“, erklärt er und ließ zwei 100-Blatt- Packungen Papier von der Bühne fallen, „ein Amerikaner verwendet etwas mehr“: Zwei fette Kisten mit Kopierpapier krachten von der Bühne des Paradiso. „Dematerialisierung“ sei darum gefragt, die Migration vom Lebensbereich in den nichtmateriellen Cyberspace – ein Gedanke, der in Holland, einem Land, das jederzeit von einer Sturmflut weggespült, also dematerialisiert werden könnte, besonders nahezuliegen scheint.

Wie kann man aber nun diese bedrückende Ökobilanz mit Computern und den neuen digitalen Technologien verbessern? Große Hoffnungen setzten viele Referenten auf die Entstehung von neuen „virtuellen Gemeinschaften“ im Internet. Eine „Deterritorialisierung“ hat zum Beispiel der Schweizer Manager Claude Fussler beobachtet. Statt sich wie bisher einer Clique aus der Nachbarschaft anzuschließen, würden etwa Teenager im Netz nach individuellen Interessen und Hobbys zusammenfinden. Weil diese Kids nach Einigkeit und Zugehörigkeit suchten, entstünden so internationale „Stämme“, die Nationalitäten und Landesgrenzen transzendieren könnten.

Dazu gehören für den amerikanischen Multimedia-Designer Payson Stevens zum Beispiel die Surfer. Surfen, so lernt man es auch aus einer CD-ROM, die Stevens gerade fertiggestellt hat, ist ein alter Sport aus Polynesien, der in den sechziger Jahren an der amerikanischen Westcoast eine Renaissance erlebt und sich seither in der ganzen Welt verbreitet hat: Die Surfer teilen weltweit die Begeisterung für das Wellenreiten, sie teilen aber auch ein ökologisches Ethos, über das sie im Internet kommunizieren können. Nach diesem globalen Konzept werden sich, so prophezeiten viele Referenten, in der Zukunft ebenso die „Datensurfer“ als „virtuelle Gemeinschaft“ im Internet organisieren, für die räumliche Grenzen oder Entfernungen keine Rolle mehr spielen. Im Internet bilde sich statt dessen eine kollektive Intelligenz, wie Derrick de Kerckhoven vom McLuhan-Institut aus Toronto konstatierte, wo geistige Energien kanalisiert und organisiert werden. Im immateriellen Cyberspace manifestiere sich ein „elektronisches Hirn“, in dem Denk- und Bewußtseinsprozesse ähnlich wie im menschlichen Gehirn ablaufen.

Von der „kollektiven Intelligenz“, der im Netz gebündelten intellektuellen Energie, müsse man nun zu „intelligenten Kollektiven“ kommen, erklärte der französische Computerphilosoph Pierre Lévy. Zur Zeit würde es im Netz eine unendliche Ansammlung von Platitüden neben gelegentlichen Geistesblitzen geben. Um die Geistesblitze zu organisieren, will Lévy sogenannte Wissensbäume im Internet einrichten, in denen kollektive Denkprozesse beschleunigt werden.

Auch alternative Informationen, die von der Mainstream- Presse unterdrückt werden, können im Internet frei flottieren. Daryl Upsall von Greenpeace befürchtet zum Beispiel, daß über seine Organisation von den Medien, die sich immer stärker in den Händen einiger unsympathischer Konzerne konzentrieren, bald nicht mehr berichtet werden würde. Greenpeace würde darum schon jetzt das Internet nutzen, um seine Informationen zu verbreiten.

Doch im Augenblick sind für viele potentielle User die Zugangsschwellen zum Internet noch zu hoch. Um das Internet leichter manövrierbar zu machen, hat die Berliner Firma ART + COM ein Interface namens „Terra Vision“ entwickelt, das wie die gute alte Erde aussieht. Wer Daten sucht, kann sich mit dem Datenhandschuh zu der Stelle manövrieren, an der er die Information vermutet.

Eine ganz andere Art von Ökologie im Computer schlägt der ehemalige Meeresbiologe Tom Ray vor: Er arbeitet an Software, die sich nach dem Modell der Darwinschen Evolutionstheorie weiterentwickelt. Bei seinem Tierra-Projekt werden einfache, kleine Programme miteinander gekreuzt. Ray hofft, daß sich aus diesen simplen Programmen im Lauf der Zeit „höherentwickelte Spezies“ bilden werden. Um die „biologische Vielfalt“ und die verschiedenen Lebensräume auf der Erde auch für sein Software-Mendeln zu simulieren, hat Ray die digitalen Mikroorganismen auch im Internet ausgesetzt, so daß jeder auf seiner Festplatte die Evolution vorantreiben kann.

Eine weitere globale Vision präsentierte Mark Pesce, Mitautor der zur Zeit als heiß gehandelten VRML-Software, mit der dreidimensionale Environments für das Internet geschaffen werden können. „World Song“ heißt sein neues Projekt, in dem Musiker aus der ganzen Welt zusammen Lieder schreiben sollen. Jeder Komponist lädt kurze Musikstückchen ins Internet, wo andere Musiker die Songfragmente weiterbearbeiten können. Pesce hofft, daß so irgendwann „internationale Folksongs“ entstehen werden.

Traditionell ist die „Doors“ eher eine Veranstaltung für große Visionen. Wer konkrete Antworten darauf erwartete, wie er mit seinem PC die Umwelt retten kann, wurde daher enttäuscht. Nur der amerikanische Unternehmensberater Larry Keely nannte Beispiele für „intelligente“ Maschinen, die durch Computerchips „mitdenken“. So würden amerikanische Firmen an Waschmaschinen arbeiten, die selbst prüfen könnten, ob die Wäsche sauber ist, und so zu lange Laufzeiten verhinderten. Auch in der amerikanischen Landwirtschaft bestimmten viele Farmer mit Daten, die von Satelliten aus zusammengestellt werden, wieviel Dünger und Pestizide sie auf ihren Feldern verteilen.

In den Workshops wurden einige interessante Ideen entwickelt, wie man mit digitalen Medien etwas für die Umwelt tun kann. So schlug eine Gruppe vor, Kindern mit Virtual-Reality-Simulationen in die Lage von Tieren oder Pflanzen zu versetzen. Titel des Projekt: Be a tree! – Sei ein Baum!

Bei 30 Vorträgen über Materie und Dematerialisierung in 28 Stunden war irgendwann allerdings die kritische Masse bei vielen Konferenzteilnehmern erreicht. Eine etwas „ökologischere“ Informationsmenge würde beim nächsten Mal vielleicht nicht schaden und die interne Festplatte der TeilnehmerInnen nicht vollkommen mit Daten überladen.

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