: Algerische Gefälligkeiten sind nicht uneigennützig
■ Paris ist Algiers wichtigster Partner, auch bei der Verfolgung von Attentätern
Eine Anti-Terror-Zusammenarbeit mit Algier findet nicht statt. So lautet die offizielle Auskunft der Franzosen auf die Frage nach mittelmeerübergreifenden Ermittlungen. Allenfalls eine Information der Geheimdienste sei gelegentlich möglich, aber das müsse jedes Mal „sehr sorgfältig geprüft“ werden. Kurz nach dem Bombenattentat vom 25. Juli, bei dem in der Pariser Metro-Station Saint- Michel sieben Menschen ums Leben kamen, gab es eine solche Gefälligkeit seitens der algerischen Behörden. Unmittelbar nach der Tat hatten die Ermittler drei Phantombilder von „wichtigen Tatzeugen“ veröffentlicht: Es waren drei Männer „maghrebinischen Typs“.
Der algerische Geheimdienst steckte seinen französischen Kollegen daraufhin, daß einer der Männer ein von der algerischen Justiz gesuchter islamistischer Attentäter sei. Die „Information“ ging in Windeseile an die französischen Medien, wo sie als Erfolgsmeldung im Kampf gegen den Terrorismus gehandelt wurde. Tage später sprach niemand mehr davon.
Die Tips aus Algerien sind nicht uneigennützig: Geheimdienste und Militärs sind Partei in dem blutigen Konflikt. Seit die Militärs im Januar 1992 die Parlamentswahlen abbrachen, sind rund 50.000 Menschen Opfer der Gewalt geworden – seitens der „Bewaffneten Islamischen Gruppen“ (GIA) oder seitens des Militärs, der Polizei und der Geheimdienste.
Frankreich ist längst selbst Angriffsziel geworden
Das französisch-algerische Dilemma ist alt: Auf die 132 Jahre währende Kolonialzeit folgte nach dem Unabhängigkeitskrieg 1961 eine vorsichtige Distanz. Zugleich blieben beide Länder miteinander verwoben. Dafür sorgte nicht nur das an Frankreich orientierte politische System des neuen Staates, sondern auch die Millionen Algerier und algerischstämmigen Menschen in Frankreich sowie die Franzosen, die auf der anderen Seite des Mittelmeeres geblieben waren. Wirtschaftlich ist Algerien bis heute Frankreichs wichtigster Partner in Afrika – auch nachdem Paris vor einigen Monaten die Rüstungslieferungen eingefroren hat.
Offiziell mischt sich Paris in Algier nicht ein. Die Wahl von Liamine Zéroual zum Präsidenten beim Urnengang vom Donnerstag kommentierte das Pariser Außenministerium mit dem Wunsch nach demokratischen Verhältnissen und einer Dialog-Lösung des Konfliktes, der sich längst auf Frankreich ausgedehnt hat.
Seit langem warnen französische und algerische Geheimdienstler vor der Verdichtung der islamistischen Netze in Frankreich. Bewaffnete Islamisten benutzten Frankreich als strategisches „Hinterland“: zur Rekrutierung von Nachwuchs, zur Geldbeschaffung und für den Waffennachschub. Inzwischen ist Frankreich selbst Angriffsziel geworden, und in seinen Vorstädten wächst die Zahl der Anhänger des bewaffneten Kampfes. Eine internationale Zusammenarbeit gegen den Terrorismus scheitert nicht nur an Algerien, sondern auch innerhalb der EU – Paris fühlt sich allein gelassen. Unter anderem monieren die französischen Behörden schon lange, daß Rabah Kebir, einer der Sprecher der FIS, politisches Asyl in Deutschland genießt. Auch in Schweden fanden sich die französischen Ermittler vor verschlossenen Türen. Dort hatten sie die Auslieferung des angeblichen Metro-Attentäters Abdelkrim Deneche beantragt. Das skandinavische Land lehnte ab, weil der Algerier am Tag der Metro-Bombe in Stockholm gewesen sein soll.
Einzig in Großbritannien scheint Frankreich Verständnis zu finden. Chirac und Major vereinbarten Anfang November eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus. Wenig später nahm Scotland Yard den lange gesuchten Algerier Rachid Ramda fest. Der in Algerien wegen Beteiligung an dem Attentat auf den Flughafen im Jahre 1992 zum Tode verurteilte Mann genießt in Großbritannien politisches Asyl und wird von Frankreich als Finanzier der Attentate dieses Sommers gesucht. Paris hat seine Auslieferung beantragt. Dorothea Hahn, Paris
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