: Pfarrer an die Front!
■ Der evangelische Militärbischof und Bevollmächtigte des Rates der EKD, Hartmut Löwe, über den Unterschied zwischen "klinisch reiner" Situation und dem Ernstfall an der Front
taz: „Du sollst deine Feinde lieben.“ Wie, Herr Löwe, bringen Sie Gottes Gebot in Einklang mit dem Auftrag der Militärs?
Löwe: Konflikte lassen sich nicht lösen mit dem Satz: „Seid nett zueinander.“ Im Inneren ist die Polizei notwendig. Wir brauchen auch im internationalen Kontext eine internationale Polizei. Herkömmlich haben wir das Militär genannt. Ich kann mir wegen des Gewaltpotentiales, das unter Menschen nun einmal vorhanden ist, nicht vorstellen, daß in absehbarer Zeit die Notwendigkeit einer internationalen Polizei nicht mehr gegeben ist.
Die Pazifisten in der Kirche haben demnach den Kampf um Waffenlosigkeit verloren?
Aber viele sagen, daß ihr Pazifismus nie zum Ziel hatte, Polizei oder internationale Polizei auszuschließen. Richtig ist, daß die Friedensbewegung im Zusammenhang mit der Nachrüstung in der jetzigen Situation sich umorientiert und in sehr unterschiedliche Gruppen zerfällt.
Ändern sich mit der veränderten Rolle der Bundeswehr auch die Anforderungen an die Militärseelsorge?
Natürlich ist es ein Unterschied, ob man Soldat ist in einer Situation, in der man ein Handwerk lernt, das man nie ausüben muß. Oder ob man, so wie in unseren Nachbarländern, bei Krisensituationen als Soldat tätig ist, also mit Verwundungen, mit Krankheit, mit Verstümmelungen, mit dem Tod rechnen muß. Dieser Ernstfall ist neu und bringt auch die Militärseelsorge in eine Situation besonderer Bewährung.
Welche Reaktionen nehmen Sie wahr unter den Soldaten angesichts der veränderten Rolle des Bundeswehr?
Ich habe mir berichten lassen, daß nicht wenige Soldaten ihren Abschied genommen haben, als sich die sicherheitspolitische Situation veränderte. Das war besonders einfach, weil das Militär ohnehin verkleinert wurde. Ich nehme jetzt wahr, daß man sich sehr sensibel auf die neue Situation einstellt. Daß man in keiner Weise kriegslüstern ist, daß man aber sieht: Was für Franzosen, für Holländer, für Engländer verpflichtend ist, kann auf Dauer nicht von Deutschen gemieden werden.
...und das nicht nur in den oberen Rängen?
Ich habe mit Wehrpflichtigen gesprochen, die manchmal sogar etwas unbekümmert die neue Situation diskutiert haben. Ich habe aber den Eindruck, je höher die Verantwortung, je höher der Rang, um so verantwortungsvoller wird in der Regel die neue Situation gewürdigt und werden die Gefahren gesehen. Im Zusammenhang von möglichen Einsätzen in Jugoslawien haben die Militärs sehr viel überlegter reagiert als manche Politiker. Das stimmt mich hoffnungsvoll. Militärs wissen, was auf dem Spiel steht und Einsätze an Menschenleben kosten können.
Sind denn auch einige froh darüber, in absehbarer Zeit eine gleichberechtigte Rolle spielen zu dürfen?
Natürlich gibt es das. Aber man kann nicht verlangen, daß Soldaten differenziertere und bessere Menschen sind als wir Pfarrer zum Beispiel.
Hat das Thema Tod einen neuen Stellenwert unter den Soldaten und in der Militärseelsorge?
Es ist natürlich immer über diese Grenzbereiche – Krankheit, Unfall, Tod – gesprochen worden. Aber es ist ein Unterschied, ob man an das Sterben der 80jährigen Großmutter denkt oder ob das alles in das eigene Leben hineinragt.
Kommen die Soldaten in ihrer Angst zu Ihnen?
Mit Sorgen, mit Beklemmungen kommen sie in der Regel. Das wird viel stärker, wenn die Soldaten in einer Übungssituation sind, als wenn sie den normalen Kasernenalltag erleben. An den Schauplätzen, wo man verwundete Soldaten sieht, ist man den Fragen näher als in unserer klinisch-reinen Situation. Da ist nicht täglich jemand, der mit Ängsten kommt. Aber viele treiben Sorgen gerade im Blick auf Familie und auf die Kinder um. Das ist schon in gewisser Weise neu für uns.
Und die Militärpfarrer? Haben die auch Sorgen? Im Ernstfall müssen die ja mit an die Front.
Auch Militärpfarrer haben teilweise gesagt, „wir haben uns unseren Dienst anders vorgestellt“.
In Zukunft werden wir natürlich nur Pfarrer einstellen, die bei ihren Soldaten bleiben werden. Und zwar unabhängig davon, ob ein Einsatz ethisch legitimiert ist oder nicht. Zwar muß darüber nachgedacht werden, ob Einsätze ethisch und politisch verantwortlich sind. Aber das ist nicht die Aufgabe von Militärpfarrern. Das müssen andere kirchliche Gremien beurteilen. Jemand, der sich einer schrecklichen Situation stellen muß, hat Anspruch darauf, daß der Pfarrer sich nicht dispensiert und sagt: „Mir gefällt nicht, was da jetzt ansteht, und ich lasse euch alleine.“ So etwas darf es nicht geben
Während des Golfkrieges haben US-Geistliche die Waffen gesegnet. Ist so etwas auch in Deutschland vorstellbar?
Also ich weiß nicht, da wird immer viel behauptet: Ich habe das nicht gesehen. Es ist richtig, daß es auch christliche Konfessionen gibt, die das tun. Ich höre, daß es der Orthodoxie leichtfiele, Waffen zu segnen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Wir segnen keine Autos, wir segnen keine Küchengeräte. Ich küsse ja auch keine Autos oder Waschmaschinen, sondern meine Frau. Und entsprechend möchte ich auch, daß wir Menschen segnen. Natürlich: Soldaten werde ich segnen für ihren verantwortungsvollen Dienst. Aber das verlangt nicht, daß ich das Instrumentarium, mit dem sie ausgerüstet sind, heilige und segne.
Wenn ein Soldat beim Einsatz ums Leben kommt, ist das dann ein Heldentod?
Der Respekt Soldaten gegenüber verlangt nicht, daß man einzelne zu Helden stilisiert. Mir ist diese Kategorie fremd. Ich halte nur bedingt etwas von der Heiligenverehrung. Interview: Julia Karnick
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