: Mit Apfelsaft und Ökosteuer gegen das Kapital
■ „Zukunftsfähiges Berlin“: Professor Elmar Altvater über die Chancen lokaler Märkte
taz: Im Rahmen der BUND-Kampagne für ein „zukunftsfähiges Berlin“ diskutieren Sie heute die Chancen und Risiken von lokaler Ökonomie. Worin sehen Sie deren Vorteile?
Elmar Altvater: Eine Wirtschaft der kurzen Wege beinhaltet weniger Transport, weniger Energieverbrauch, weniger Ausstoß von Kohlendioxid und damit eine ökologische Verbesserung.
Ist das für Berlin umsetzbar?
Im Prinzip schon. Aber unter den jetzigen Bedingungen ist es eine Illusion. Die Bau- und Verkehrsstrukturen haben dazu geführt, daß Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und soziokulturelle Aktivitäten auseinandergerissen wurden. Die Transportmittel sind zwar schneller geworden, aber die Menschen brauchen von Ort zu Ort genausoviel Zeit wie vor 50 Jahren.
In der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ findet sich ein schönes Beispiel: Ein Kilogramm Apfelsinensaft aus brasilianischen Orangen verbraucht das 25fache an Energie, wie wenn wir Saft aus Brandenburger Äpfeln trinken.
Ein Joghurtbecher wird 4.000 Kilometer transportiert, bevor er im Supermarkt landet. Eine Tomate braucht, damit sie schön reif und rot ist, an die 300 Liter Wasser. Der Umweltverbrauch der industrialisiert hergestellten Agrarprodukte ist enorm. Das muß natürlich geändert werden.
Nehmen wir an: 1998 kommt eine rot-grüne Regierung an die Macht und setzt das Modell „Zukunftsfähiges Deutschland“ um. Was hülfe es den armen Ländern des Südens?
Diesen Ländern hat die Öffnung des Weltmarktes keinen Wohlstand gebracht, im Gegenteil. Für viele Länder könnte es sogar ein Vorzug sein, wenn sie sich vom Weltmarkt wieder ein wenig abkoppeln und auf ihre regionalen Kräfte besinnen.
Und wenn sich alle abkoppeln?
Das wird nicht passieren. Was man aber machen müßte, ist folgendes: erstens die Energieträger und die Transporte verteuern. Auf diese Weise würde vieles, was heute wie verrückt um den Globus transportiert wird, wieder regional genutzt. Das würde auch die Standortkonkurrenz entschärfen. Zweitens müßten wir – und das spricht die Studie nicht an – die Finanzströme und das Spekulationskapital entschleunigen.
Geht das überhaupt? Die Bundeskonferenz entwicklungspolitischer Gruppen (Buko) kritisiert die Studie sehr scharf und behauptet, die Globalisierung der Märkte lasse keinen nationalen Handlungsspielraum mehr zu.
Die Buko-Kritik ist zum großen Teil berechtigt. Denn die Studie betreibt überhaupt keine Ursachenanalyse. Das Wort Kapitalismus kommt nicht vor. Dennoch muß man an archimedischen Hebelpunkten anzusetzen versuchen, und da sehe ich drei: die Ökosteuer, um die Transporte zu verteuern, die Besteuerung der Kapitaltransaktionen – das hat sogar schon François Mitterand auf dem Weltsozialgipfel vorgeschlagen – und die Arbeitszeitverkürzung. Je weniger wir arbeiten, desto unschädlicher sind wir für die Ökosysteme. Das hebt alles zusammen zwar noch nicht das System aus den Angeln, aber es wäre ein Anfang. Interview: Ute Scheub
„Total lokal – die Wirtschaft der kurzen Wege“: heute, 19 Uhr, im Raum 2091 der Humboldt-Uni
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