: Der „Golfkrieg“ von Tepoztlán
Vor den Toren der mexikanischen Hauptstadt wehrt sich ein Dorf gegen den Bau eines Golfplatzes und erklärt sich zur autonomen Gemeinde. Widerstand gegen „Invasoren“ hat hier Tradition ■ Aus Tepoztlán Anne Huffschmid
Vom Dachsims des Rathauses baumeln die „Verräter“, säuberlich in Jeans und Anzug und Kostüm gekleidet, alle paar Meter an einer dicken Kordel aufgeknüpft. Die gespenstischen Judas-Puppen, die in Mexiko sonst nur um Ostern zu sehen sind, hängen nun schon seit ein paar Monaten an dem kalkweißen Gebäude. Unmißverständlich bringen sie die Meinung der Tepoztecos, der BewohnerInnen Tepoztláns, über ihre ehemalige Gemeinderegierung zum Ausdruck. Deren Vergehen: Ohne die Bevölkerung zu konsultieren, hatten sie klammheimlich die Erlaubnis zum Bau einer luxuriösen Golfanlage im Valle Sagrado gegeben, im „heiligen Tal“ von Tepoztlán.
Die Strohgehenkten sind die ersten Opfer im sogenannten „Golfkrieg“, der hier, eine Autostunde südlich von Mexiko-Stadt, seit dem Sommer tobt. Das Dorf am Fuße der vulkanischen Bergkette lebt von einem blühenden Fremden- und Ausflugsverkehr, doch der heimische Stolz ist ungebrochen.
Wo zu Zeiten der mexikanischen Revolution Emiliano Zapata sein Quartier aufgeschlagen hatte, finden heute Metropolenmüde und Wochenendaussteiger eine idyllische Zuflucht. Die kleine Pyramide auf einem der umliegenden Berge, den täglich Touristen erklimmen, gilt Kennern als einer der „energiegeladensten Punkte“ auf der ganzen Welt. Und tatsächlich scheinen die kosmischen Energien, zusammen mit dem schwülen Klima und dem zapatistischen Vermächtnis, in der 10.000-Seelen- Gemeinde für eine besonders explosive Stimmung zu sorgen.
Der Widerstand gegen die „Invasoren“ ist nicht neu. Seit Anfang der sechziger Jahre gab es nicht weniger als fünf Versuche, das Umland touristisch zu erschließen. Nicht nur Golfplätze, sondern auch Feriensiedlungen, Panoramastraßen und Elektrobahnen sollten dem Dorf den nicht sonderlich ersehnten „Fortschritt“ bringen. Die Projekte scheiterten an der allseits bekannten Sturheit der Tepoztecos. Heute beansprucht eine inländische Investorengruppe, darunter auch ein Schwager des exilierten Ex-Präsidenten Carlos Salinas de Gortari, 187 Hektar für ihr großangelegtes Projekt. Dort sollen ein Golfplatz mit 18 Löchern entstehen, ein Fünfsternehotel mit Tennisplatz und Privatflughafen, außerdem 800 Luxusresidenzen und ein paar künstliche Seen. Im Jahr 2000 soll der Club, der als eine Art Pilotprojekt in Sachen High-Tech-Tourismus rund um die Metropole gedacht ist, fertig sein – so zumindest die ehrgeizigen Pläne.
Dabei geht es freilich weniger um das Ferienglück der gutbetuchten MexikanerInnen als vielmehr darum, ausländischen Firmen das Investieren in der monströsen Hauptstadt etwas schmackhafter zu machen. Denn hinter dem umstrittenen Golfclub stand bis vor kurzem noch der US-Multi GTE, der gleich nebenan einen gigantischen Technologie-Komplex errichten wollte. Mittlerweile, so heißt es im Dorf mit einiger Genugtuung, schauen sich die gringos schon mal nach anderen Standorten im Umland um. Allein heimische Investoren bleiben hartnäckig. Und das, obwohl das besagte Terrain im gemeindeeigenen Nationalpark liegt, der seit Ende der achtziger Jahre zudem zum „Bio-Korridor“ erklärt wurde.
Die Tepoztecos fürchten nicht nur um ihre Ruhe und ihre Traditionen, sondern auch um die ohnehin schon prekäre Wasserversorgung. Der veranschlagte Verbrauch für das saftige Rasengrün beläuft sich auf das Fünffache dessen, was die gesamte Ortschaft am Tag verbraucht, auch die Versorgung der umliegenden Dörfer ist in Gefahr. Eine „wirtschaftliche Apartheid“, nennt die Tageszeitung La Jornada den zu erwartenden Verteilungskampf.
Schon am Ortseingang empfängt die Besucher ein kleiner Steinwall mit einer unübersehbaren Mitteilung. „Willkommen bei einem Volk, das seine Traditionen und Gewohnheiten verteidigt!“ und daneben, in knallroten Lettern: „Nein zum Golfclub!“
Ja, bekräftigt der Taxifahrer lachend, während er mit seinem Käfer über das Kopfsteinpflaster klappert, hier seien „wirklich alle“ dagegen. Inzwischen gebe es nur noch diese eine Straßensperre, zwischenzeitlich habe es mehr als ein Dutzend von ihnen gegeben, die „alle, die nach Regierung aussahen“, fernhielten. Seit fast drei Monaten herrscht ein faktischer Ausnahmezustand in Tepoztlán. Gelegentlich werden bewaffnete Eindringlinge mit Knüppeln vertrieben, selbst ein paar Hundertschaften Bundespolizei hatten angesichts der tepoztekischen Wut das Weite gesucht. Kein einziger Polizist hat seitdem einen Fuß in das Dorf gesetzt.
Aber es geht auch ohne. Die Müllabfuhr klappt besser als je zuvor, junge Männer dirigieren den Verkehr und bewachen die Ortseingänge. Bezahlt wird niemand. Alle 24 Stunden ist Schichtwechsel, jeden Tag wacht ein anderer Stadtteil über die tepoztekische Sicherheit. Weil die Landesregierung dem unabhängigen municipio, wie die Kommunen in Mexiko heißen, bislang keinen Pfennig bezahlt hat, hält es sich mittlerweile mit dem Geld der BewohnerInnen über Wasser. Und da man wegen des drohenden Vorwurfs der Unterschlagung keine Gebühren erheben darf, werden die Zahlungen für die kommunalen Dienste geschickt als „Spenden“ deklariert.
Seit dem 24. August wird mit Knallern und Kirchenglocken zu Dorfversammlungen gerufen. Und die finden seither fast täglich statt. Denn als seinerzeit die Zustimmung des seit März amtierenden Bürgermeisters Morales zum verhaßten Golfclubprojekt bekannt wurde, marschierten Tausende von erzürnten Anwohnern, von Glockengeläut begleitet, zum Rathaus, besetzten es und wählten Morales schon am nächsten Tag einstimmig ab. Die Dialogversuche mit der Landesregierung blieben ohne Ergebnis. Um ihrer Forderung nach dem Verbot des Bauvorhabens Nachdruck zu verleihen, wurden drei Funktionäre ein paar Stunden lang „entführt“.
Auch der Bischof aus der Landeshauptstadt, der den Golfplatz unvorsichtigerweise als „Segen Gottes“ bezeichnet hatte, durfte erst unter Bitten und Betteln wieder seiner Wege gehen. Einen Monat später organisierte das „Komitee der Einheit von Tepoztlán“ die Neuwahlen in Eigenregie. Aus den parteiunabhängigen Kandidaten wurde ein achtköpfiger Gemeinderat gewählt, für jeden Stadtteil ein Vertreter. Der Anwärter mit den meisten Stimmen wurde zum neuen Dorfvorsteher ernannt.
Fast die Hälfte der Wahlberechtigten machte ihr Kreuz bei Lázaro Rodriguez. Der 40jährige Grundschullehrer, Bauer und Kunsthandwerker hatte sich in den vergangenen Jahren vor allem als Retter der tepoztekischen Wälder bei seinen Landsleuten einen Namen gemacht. Anfang Oktober wurde dem frischgebackenen Bürgermeister in einer feierlichen Zeremonie der „Befehlsstab“ übergeben. Auch an ihn ging eine deutliche Warnung: Wenn er sich vom Willen des Volkes entferne, dann „wird es das Volk sein, das dein Herz fordert, um die Wut unserer Götter zu besänftigen“.
Noch aber wird er von einer ungewöhnlich breiten Allianz unterstützt. Nicht nur von Ökogruppen und Frauenorganisationen, auch von den Ortsverbänden aller Parteien sowie den 800 Gemeindebauern. Selbst die Ladenbesitzer, bei derlei Konflikten aus naheliegenden Gründen fast immer auf der Seite des „Fortschritts“, haben inzwischen mit solidarischen Steuerstreiks gedroht.
Ein erster Etappensieg ist erzielt: der vorläufige Baustopp, der im September für einige Bauabschnitte wegen mangelnder Erfüllung der Umweltauflagen verfügt worden war, ist mittlerweile endgültig. Selbst der Einspruch der Unternehmergruppen wurde Ende Oktober abgelehnt. Ihr Golfprojekt, für das ihnen noch im März der Landesvater Jorge Carrillo Olea seine „volle Unterstützung“ zugesichert hatte, wollen sie deswegen nicht aufgeben.
Im Rathauses herrscht reges Treiben. Über den improvisierten Schreibtischen hängen Zapata-Bilder, die Jungfrau von Guadalupe und andere bunte Gottheiten. Alte Männer in Sandalen und weißen Strohhüten warten auf die Audienz mit „ihrem“ presidente municipal. Andere schieben draußen Wache. Ob es zu Zusammenstößen kommen kann? Don Pedro zuckt die Schultern. Er deutet auf die baumelnden Strohpuppen und sagt dann in der bedächtigen Diktion alter Menschen: „Uns verkauft keiner mehr.“ Und: „Wenn's knallt, dann knallt's eben. Die Leuten sind zu allem entschlossen.“
Auch Ortsvorsteher Lázaro Rodriguez macht einen entschlossenen Eindruck. „Zapatistisches Blut fließt in unseren Adern“, meint er stolz. Der Mann mit dem buschigen Schnurrbart und dem kecken roten Halstuch sieht selbst hinter seinem wuchtigen Schreibtisch noch wie ein leibhaftiger Nachfahre des legendären Revolutionsgenerals aus. Eines sei schon mal sicher: „Hier kriegen sie uns nicht raus.“
Wie alle Angestellten der neuen Gemeindeverwaltung bekommt auch er bis jetzt keinen Lohn. Denn offiziell ist die unabhängige Gemeinde nicht anerkannt, wenn auch mittlerweile das Standesamt seine Arbeit aufgenommen hat. Eine „De-facto-Anerkennung“, meint Rodriguez zuversichtlich. „Wir halten noch ein paar Monate durch.“ Waffen? Er grinst entwaffnend. „Wir kämpfen lieber damit“, sagt er und tippt sich an die Stirn. Zur Not eben auch mit Steinen und Knüppeln, „etwas rudimentär, aber wirksam“.
Sein Büro ziert ein riesiges Ölbild von Subcomandante Marcos. Nein, mit der Zapatistenguerilla habe man keinerlei direkte Verbindung. Blöde Frage. Selbst wenn, dann würde man es nicht gerade der ausländischen Presse kundtun.
Besonders clever sei die Landesregierung in der Angelegenheit nicht vorgegangen. „Weil sie sich um ein Problem, den Golfclub, nicht rechtzeitig gekümmert haben“, ergänzt der Leibwächter Jorge, „haben sie jetzt ein viel größeres Problem am Hals.“ Das „freie Municipio“ ist schließlich die erste Erfahrung dieser Art im postrevolutionären Mexiko. „Ein Beispiel fürs ganze Land“, hofft Lázaro. Dann muß er sich wieder seinen Amtsgeschäften zuwenden. Am Ortseingang seien Polizisten gesichtet worden.
Abends um halb acht ist Wachablösung. Und gleichzeitig Dorfversammlung. Sorgsam wird den Nachfolgern jede Kopierquittung abgerechnet und Bericht erstattet über die Begebenheiten des Tages. Dann wird man die Obhut der „presidencia“ an die nächste Brigade übergeben. Bewacher Don Pedro sieht müde aus. Aber er will noch nicht nach Hause. „Hier gibt es noch einiges zu tun.“ Nach seiner Meinung zu den compañeros im fernen Chiapas befragt, legt sich ein undurchdringlicher Ausdruck über das zerfurchte Gesicht. Nach einer Weile sagt er langsam: „Sie grüßen uns, und wir grüßen sie.“
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