: Mäuse erobern die Bühne
■ Mit dem „Theater Laboratorium“ eröffnete in Oldenburg ein erstes privates Figurentheater
Wo liegt Oldenburg? In einer anderen Welt, Lichtjahre entfernt vom Spar-Terror der Gegenwart? In Bremen geht in diesen Wochen der Theatertod um: Das Junge Theater, bislang das innovativste freie Theater der Stadt, droht zum Jahresende das Haus endgültig zu schließen, dem großen Bremer Theater geht es gerade mit einer Kürzung von weiteren 3,5 Millionen an den Kragen und das Freiraum-Theater hat schon vor Jahren seinen Spielbetrieb eingestellt. Im niedersächsischen Oldenburg aber, keine 50 Kilometer entfernt und wesentlich kleiner als die Hansestadt, scheint man in einem anderem kulturpolitischen Biotop zu leben. Neben dem alteingesessenem Oldenburgischen Staatstheater und der etablierten Kulturetage, eröffnete vor kurzem ein neuer Spielort. Im vollständig renovierten Holzbau, hat in der Nähe des Kulturzentrums PFL nun mit dem „Theater Laboratorium“ Oldenburgs erstes privates Theater Einzug gehalten. Mit der Konzeption eines kleinen Figurentheaters glaubt man in Oldenburg in eine Marktlücke vorgestoßen zu sein.
Schon im Foyer geben die Zuschauer die Hektik der rushhour mit den nassen Regenschirmen ab. Getrocknete Maiskolben hängen über den Türrahmen, über dem Eingang zum Spielraum tickt langsam eine alten Bahnhofsuhr und hinter dem antiken Holztresen, der als Buffet dient, summt eine Kaffeemaschine. Hier stimmt jedes Detail. Für die Behandlung der Holzwände, die in zartem Gelb und Lachsrosa die Leichtigkeit Italiens zu atmen scheien, wurde eine alte Lasiertechnik ausprobiert, die sich aus sieben Schichten zusammensetzt. „Die Farben wirken wärmer und man kann die Spuren von Kinderhänden besser abwischen.“ Barbara Schmitz-Lenders hat ihren Blick immer auch aufs Praktische gerichtet. Eine gute Vorraussetzung, die die diplomierte Puppenspielerin für ihren neuen Job mitbringt: Theaterbesitzerin.
Was sie nach Oldenburg gebracht hat? „Hier haben wir immer das beste Publikum gehabt“, lautet die plausible Begründung. Barbara Schmitz-Lenders hat ihren Mann Pavel Möller-Lück als Studentin der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst kennen gelernt. Fast ein Jahrzehnt hat man sich bei Tourneen in der Szene umgesehen: „In einer Stadt dieser Größe, ist der Markt für ein kleines Theater nicht so gesättigt, wie in Hamburg oder gar Berlin, wo man mit einem Figurentheater kaum auffällt. Hier liegt darin unsere Chance.“
Eine Chance, die sich nutzen läßt. Denn seit die beiden Puppenspieler die alte Hygienenbaracke vor sechs Jahren entdeckten, gingen die Gespräche mit der Stadt zügig voran. „Man war hier erstaunlich kooperativ.“ Mittlerweile wurde das Haus, das auf dem Terrain des Peter-Friedrich-Ludwig-Hospitals steht, unter Denkmalschutz gestellt und renoviert. 200. 000 Mark gab das Land Niedersachen dazu, die Toto- und Lotto-Gesellschft 40.000 Mark und die Stadt Oldenburg ließ sich den Umbau 240.000 Mark kosten. Das Resultat: ein liebevoll restauriertes Theatergebäude mit 99 Sitzplätzen, das den Puppenspielern für die nächsten 12 Jahre kostenfrei zur Verfügung steht. Das Paar, das selbst noch einmal 100 000 Mark in den Innenausbau investiert hat, weiß um das Privileg solcher Arbeitsbedingungen: „Das ist eine enorme Erleichterung, sich hier in Ruhe etablieren zu können. Wenn wir monatlich irgendwo 5000 Mark Miete zahlen müßten, dann wäre das gar nicht zu machen.“
So aber kann man sich darauf konzentrieren, das neue Haus auch inhaltlich zu füllen. Da geht es auf zu neuen Ufern. Schließlich wird man im den Spielplan im wesentlichen aus dem eigenen Repertoire bestreiten müssen. Was das heißt, hat die Puppenspielerin schon ausgerechnet. Bislang brauchte konnten sie es sich leisten, alle zwei Jahre ein neues Stück zu produzieren, es fand sich immer noch eine Stadt, in der man das Stück vorführen konnte, jetzt braucht es zwei Premieren im Jahr um den Zuschauern genügend Abwechslung zu bieten. Diese Produktionssteigerung geht mit neuen Ideen vom Puppenspiel einher. Die Zeiten dern Augsburger Puppenkiste, die die Vorstellung vom Puppentheater lange geprägt hat, seien langsam vorüber. Mittlerweile kennen Kinder aus dem Fernsehen die ganze Welt. Kein Wunder, daß die Oldenburger Puppenspieler Stücke schreiben wie „Die drei Käsehochs“ aus New York, in denen Ratte, Maus und Hamster, von Überfällen auf Popcornautomaten leben und sich mit Filmfiguren identifizieren. Figurentheater 1995 in Oldenburg, das kann als Reaktion auf die Fernseherfahrung der 6-jährigen Zuschauer auch ein Krimi mit handgenähten Nagetier-Figuren sein.
Es reizt sie, gestalterisch zwischen den Genres zu wandern. Jüngstes Beispiel: die Vermischung von klassischem Puppentheater und Erzählformen, die durch Film und Literatur angereichert sind. Wie z.B. die Figur des „kleinen Herrn Winterstein“: Zu Beginn der Geschichte, als der komische Herr mit der Melone auf dem Kopf erschaffen wird, da steigt die kleinen Stoffigur tatsächlich aus einer altertümlichen Schreibmaschine heraus. Die Kinder finden die Geburt des Helden aus dem Maschine „ganz logisch“ und nur die Erwachsenen murmeln was von „grenzüberschreitend“.
Susanne Raubold
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