: Es brennt Von Viola Roggenkamp
Es stinkt nach verbranntem Essen. Nach einem Kochtopf, der sich samt Kartoffeln in seine chemischen Bestandteile aufzulösen beginnt. Aber wo? Irgendwo in diesem Haus, in dem ich wohne, brennt es.
Was nehme ich mit? Die Tagebücher? Das weiße Kleid? Erst mal die Scheckkarte, du Idiot! Nicht mal Schuhe habe ich an. Ich reiße die Haustür auf. Das Treppenhaus liegt im Dunkeln. Der Gestank steht vor meiner Tür.
Ein süßlich stechender Geruch. Schritte von oben. Eine Frau. „Es riecht verbrannt.“ Bei ihr sei es nicht. Sie ist bereit, das Haus getrost zu verlassen. „Soll ich nicht die Feuerwehr ...?“
Energisches Kopfschütteln. „Ach was! Das müssen Sie nachher noch bezahlen, wenn es umsonst war.“ Ein Mann kommt von unten: „Bei uns ist es nicht.“ Die Frau: „Sag ich doch.“ Sie geht. Er geht. Und ich gehe zum Telefon. Ich rufe jetzt die Feuerwehr an. „Gute Idee“, sagt ein großer Junge hinter mir. Ein Nachbar? „Ich wohne gegenüber“, stellt er sich vor. „Seit drei Jahren.“ Mein Nachbar. „Wie ist noch mal die Nummer von denen“, frage ich. Keine Antwort. Er ist weg. Wieder in seiner Wohnung. Der Gestank ist da, und ich weiß die Nummer nicht. Stärker. Schärfer. Diese Leute! Meine Nachbarn! Gehen einfach. Niemand da. Rauchvergiftung. Explosion. Die Nummer? In jedem Film wissen die Leute die Nummer. Wieso ich nicht? Der Taxiruf ist zweimal 211. Was soll das jetzt? Weil einmal 112 reicht.
Ich habe mir noch nie erlaubt, die Feuerwehr anzurufen. Jetzt tue ich es. Eins-eins-zwo. Donnerwetter. Rufzeichen. Und nicht nur einmal. Die lassen es dreimal klingeln auf der Feuerwehr. Was machen die? Spielen die Karten? Ein Topf brennt! Ein Küchenherd! Im Hörer eine schnarrende Männerstimme. Ich beschreibe dem Mann die Lage. Er will meinen Namen. Also doch. Sie werden mich zur Rechenschaft ziehen. „Meinen Sie, daß Sie kommen sollten? Ich wollte es erst mal mit Ihnen besprechen.“ Statt dessen schnarrt er: „Welcher Stadtteil?“ Ich bin verblüfft. „Sie brauchen ja nicht gleich mit drei Löschzügen zu kommen. Einer würde vielleicht reichen. Ich weiß nicht, welcher Stadtteil. Wir haben doch jetzt die neuen Postleitzahlen. Das war mal Hamburg dreizehn.“ Er hat aufgelegt. Drei Minuten später sind sie da. Mit Sirene und allem. Im Treppenhaus ist was los. Ich lerne meine Nachbarn kennen. Und alle haben es gerochen. Eine Wohnung bleibt verschlossen. Feuerwehrmänner schnüffeln am Türrahmen.
„Hier ist es. Der Topf muß inzwischen ein Brikett sein“, sagt der Zugführer und winkt mit großer Hand seine großen Männer herbei. Wie Seefahrer im Sturm nach vorn gebeugt dem Brandherd entgegen. Sorgsam das Material schonend schrauben sie den Türrahmen auf. „Bei uns im dritten kam ein Feuerwehrmann draußen am Fenster vorbei“, sagt ein Mann. „Ich hatte unsere acht Wochen alte Tochter auf dem Arm. Darum bin ich in Pantoffeln.“ Alle hängen über dem Treppengeländer. Sie haben die Tür aufgebastelt. Stechend stinkender Qualm. Der Zugführer schickt einen hinein. Mit Gasmaske. Wir warten. Er kommt zurück. „Das war's“, sagt er zum Publikum gewandt. „Da soll eine Schauspielerin wohnen“, sagt eine alte Frau und schüttelt ausdrucksvoll den Kopf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen