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Zeit seines Lebens im Exil

Vor 25 Jahren ertränkte sich Paul Celan in der Seine: Heute wäre er 75 Jahre alt geworden  ■ Von Gisela Krone

„Es ist zuviel Paris auf meinen athletischen Schultern (und ein Stückchen weiter drinnen)“, schreibt Paul Celan im November 1969. Hätte er nicht wenige Monate später, vielleicht von jener Last des steinernen Paris beschwert, seinen Tod in der Seine gesucht, wäre er heute 75 Jahre alt geworden.

Celans Popularität, die sich an der Fülle von wissenschaftlichen Neuerscheinungen, der Herausgabe von Briefen und einer historisch-kritischen Ausgabe seiner Werke ablesen läßt – hat mittlerweile einen neuen Höhepunkt erreicht und auch eine neue Qualität. Wurde die Lektüre Celanscher Lyrik bislang nur von einem kleinen esoterischen Kreis von Liebhabern gepflegt, so schmücken seine Gedichte nun auch die Waggon- Wände der Berliner BVG. Besorgt um den gelangweilten Intellektuellen im öffentlichen Verkehrsnetz, der ausnahmsweise seinen Adorno, Derrida oder sonstwen zu Hause vergessen hat, kleben hier sozusagen „dicht beieinander“ Dichtung und Dichtung: Gleich unter dem berlinisch-humorigen „Haste im Verkehr mal Frust – mit Paech-Brot kriegste wieder Lust“ prangt Paul Celans „In den Flüssen nördlich der Zukunft / werf ich das Netz aus, das du / zögernd beschwerst / mit von Steinen beschriebenen / Schatten“.

Im bukowinischen Czernowitz jagen Fotografen nach lohnenden Motiven. Dort werden „Tau“ auf „Flimmerbaum“, „Sprachgitter“ in „Toren“ oder enggeführte Gassen im Bild gebannt. Einträglich sind diese Schnappschüsse allemal. Das deutsche Sentiment hat ein Faible dafür, das Schicksal eines Dichters in seiner Kindheitslandschaft vorherbestimmt zu sehen.

Heute wäre Celan zweifelsohne schockiert vom Horizont unserer Medienlandschaft, von ihrer Skrupellosigkeit. Doch wer wollte Rücksicht nehmen auf einen, der sich über einen Lesungsbesucher mokiert, der, anstatt andächtig die Ohren zu spitzen, aufsteht und die Filmkamera surren läßt. – So geschehen bei Celans letzter Lesung am 21. 3. 1970 in Stuttgart.

1920 in Czernowitz geboren, hatte Celan die Judenverfolgung in rumänischen Arbeitslagern überlebt. Franz Wurm, Dichter und Freund, berichtet, wie Celan – damals noch unter seinem Geburtsnamen Namen Paul Antschel – dem Tod „zwischen zwei Namen“ trickreich entgehen konnte. Bei einer Selektion war Celan auf die Liste der Todeskandidaten geraten. Sortiert wurde an zwei Wänden. Anstatt an die ihm zugewiesene Mauer zu gehen, schlenderte er zwischen zwei Ausrufen über den Hof und „erreichte die andere Mauer. Der Uniformierte, mit seiner Liste beschäftigt, hatte, zumal immer einige in gestaffelter Reihe über den Hof unterwegs waren, nichts gemerkt.“ Als dieser beim abschließenden Durchzählen dann feststellte, daß die Zahlen nicht stimmten, begann der Vorgang von neuem. Dreimal wiederholte sich die Prozedur, dann gab der Aufseher achselzuckend nach.

Nach Kriegsende war Celan über Bukarest und Wien nach Paris gegangen, arbeitete als Verlagslektor und Übersetzer von Čechov, Rimbaud, Blok, Mandelstam, Valéry, Jessenin. Shakespeare, du Bouchet, Supervielle, Ungaretti, um nur einige zu nennen. Deutschland kam für ihn, der sich Zeit seines Lebens im Exil fühlte, nicht in Frage. Seine spätere Tätigkeit als Lektor an der Ecole normale supérieure war ihm eher „eine notwendige Last...“.

Die ersten Gedichtbände – „Mohn und Gedächtnis“, „Von Schwelle zu Schwelle“ und „Sprachgitter“ – erscheinen in den 50er Jahren. Die Hochzeit seiner Popularität im deutschsprachigen Literaturbetrieb beginnt mit der Verleihung des Georg-Büchner- Preises (1960). Das war ihm recht. Nur daß sich seine Popularität zu einem Gutteil einer höchst unangenehmen Invektive von seiten Claire Golls verdankte, war ihm nicht recht. Bereits mit Erscheinen seines ersten Gedichtbandes hatte die Witwe von Ivan Goll Celan bezichtigt, Goll seines geistigen Eigentums beraubt zu haben. Öffentlichkeitswirksame Anwürfe. Die Kritik traf Celan hart. An Nelly Sachs schreibt er: „Täglich kommen mir die Gemeinheiten ins Haus... Soll ich Ihnen Namen nennen? Sie würden erstarren. Es sind solche darunter, die Sie kennen, gut kennen.“

1967 gerät er in eine schwere psychische Krise. Auch nach einem längeren Klinikaufenthalt bleibt seine psychische Verfassung gespannt. 1968/69 verbringt er wieder mehrere Monate in der Klinik. Bei einem Besuch in Deutschland trifft Celan mit Martin Heidegger zusammen, der ihn, einen Monat vor Celans Tod, „krank-heillos“ nennt.

Kurze Zeit später reist Celan nach Israel. Gegenüber Yves Bonnefoy meint er: „Ich bedaure, daß ich mich nach meinem Aufenthalt in Wien nicht entschlossen habe, in Israel zu leben statt in Frankreich. Dort hätte ich mich wohl unter meinesgleichen gefühlt und hätte nicht unter diesem ständigen Gefühl des Exils leiden müssen.“

Wenige Wochen nach einem Besuch in Israel – hoffnungsvoll hatte Celan vor dem Hebräischen Schriftstellerverband noch gemeint, sich „unterredet zu haben mit der gelassen-zuversichtlichen Entschlossenheit, sich im Menschlichen zu behaupten“ – findet Celan seinen Tod in der Seine.

Einer hat sich vorgestellt, wie es war. Franz Wurm schreibt zur Erinnerung: „Ich stelle mir ihn vor, wie er, vielleicht an einem Treppengeländer sich festhaltend, hinuntergegangen war in den Fluß, sich festhaltend mit der ihm eigenen kämpferischen Entschlossenheit, solange er's konnte. Dann übernahm ihn die Strömung. Er soll ein guter Schwimmer gewesen sein.“

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