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Schöpfung und Autos bewahren

Der Berliner Bezirk Köpenick gilt als Modell für eine lokale Agenda 21, mit der der Planet gerettet werden soll. Die Bevölkerung ist gefragt  ■ Aus Köpenick Christian Füller

Zu unser aller Überraschung hatte Berlin plötzlich eine Agenda.“ Manfred Marz, der Leiter des Köpenicker Umweltamtes, packt noch heute die Wut, wenn er an den Coup des Berliner Umweltsenators denkt. Im Stile eines Hauptmanns von Köpenick düpierte Volker Hassemer (CDU) die versammelte nationale Agenda-21-Konferenz.

29 Kommunen aus der Bundesrepublik wollten sich jüngst in Köpenick über ihre Fortschritte bei der Erarbeitung einer lokalen Agenda für das 21. Jahrhundert austauschen. Da kam der eloquente Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz und legte sie auf den Tisch, die Lokale Agenda 21 Berlin. Bloß daß sie keine war. Ohne die Öffentlichkeit zu beteiligen, hatte Hassemer ein Journalistenbüro in strenger Klausur seine Erfolgsstory zusammenschreiben lassen. „Berlin erfüllt Rio-Forderung mit der lokalen Agenda 21“, log eine Pressemitteilung.

Inzwischen sind ein paar Wochen vergangen und Manfred Marz kann einen eigenen, ehrlichen Coup landen. Die an sein Umweltamt angegliederte Arbeitsgruppe „Agenda 21“ wird heute veröffentlichen, was die Köpenicker BürgerInnen über Treibhauseffekt, Nachhaltigkeit und Autofahren denken. Anders als Hassemer will der Berliner Bezirk, der 1994 als erste deutsche Kommune mit der Erarbeitung einer lokalen Agenda begann, zusammen mit den Menschen die ökologische Köpenicker Tagesordnung für das 21. Jahrhundert aufstellen. Die Befragung ist ein Baustein dafür. Ihr Ergebnis ist widersprüchlich.

90 Prozent der 1.300 interviewten Köpenicker „sind mit dem Begriff Treibhauseffekt vertraut“. Über die Hälfte weiß etwas mit „nachhaltiger Entwicklung“ anzufangen. Lauter Umweltbewußte mag man denken – und irrt. 62 Prozent der Befragten wollen einen Flughafen. Der darf auch vor der Haustür in Schönefeld liegen, meinen 55 Prozent. Auch im Bezug auf ihre Pkws sind die Köpenicker keine Umweltleuchten: 70 Prozent haben ein Auto, und über die Hälfte von ihnen denkt gar nicht daran, es abzuschaffen.

„Mir ist schon Angst und Bange, wenn wir immer als Vorbild hingestellt werden“, bekennt der Physiker Marz. Ab heute abend ist ein öffentliches Problem, was bislang nur innerhalb des allseits gelobten „Köpenicker Modells“ klar war. Zwar kommt die Köpenicker Art der Bürgerbeteiligung nahe an den Rio-Beschluß heran, der alle Kommunen aufforderte, „lokale Agenden zur nachhaltigen Entwicklung mit ihren Bürgern auszuarbeiten“. Aber wie soll man die jetzt gefundenen Inhalte sinnvoll in eine Agenda integrieren, die doch Blaupause und Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung sein soll? Magda Schönhoff, Mitglied der Köpenicker Agenda-Gruppe, sieht sich eingeklemmt: Auf der einen Seite stehen die Behörden, „die sich helfen, indem sie irgendwelche Papiere verfassen“. Auf der anderen Seite gibt es die Öffentlichkeit, die laut Befragung weiß, „daß unsere Erde nur zu retten ist, wenn alle Kräfte aufgewandt werden“ – aber trotzdem weiter Auto fahren will.

Dabei hatte es so gut angefangen, das Köpenicker Modell, und sieht im Vergleich zu den meisten anderen deutschen Städten immer noch gut aus. Der Startschuß fiel offiziell 1994 mit dem Beschluß der Bezirksversammlung, eine kommunale Agenda 21 zu verabschieden. Tatsächlich reichen die Wurzeln zurück in die DDR. Dort sammelte sich seit 1987, aus den Kirchen heraus, eine Bewegung für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ – das ist nichts anderes als die Rio-Ziele auf Kirchendeutsch. Die Köpenicker Ökumene nahm dies 1992 zum Anlaß, den Agenda-Prozeß in ihrem Bezirk anzuschieben.

Neben dem gesellschaftlichen Standbein aus der ökumenischen Versammlung gibt es jetzt in dem 120.000-Einwohnerbezirk auch ein administratives: Die Arbeitsgruppe im Umweltamt und das offene lokale Forum Umwelt & Entwicklung. Viele Kommunen träumen von solcher Zusammenarbeit mit BürgerInnen und Initiativen. „Relativ einmalig“ sei das, meint Monika Zimmermann, die für den Internationalen Rat für Kommunale Umweltinitiativen die deutsche Situation im Blick hat.

Die echten Fortschritte aber sind noch bescheiden, betrachtet man das Ziel, den aus Rio abgeleiteten lokalen Aktionsplan, der zur Rettung des Planeten beitragen soll. Zwar meint Klaus Wazlawik, der in der Kirche aktive und im Umweltministerium arbeitende spiritus rector der lokalen Agenda 21, ihren Inhalt schon zu kennen: „Minderungsprogramme, die den absoluten Umweltverbrauch Köpenicks drücken“. Aber bislang gibt es nur kleine Schritte: Die Verwaltung reduziert ihren Energieverbrauch um 3 Prozent im Jahr und ein Abfallwirtschaftskonzept soll aufgestellt werden. Für Monika Zimmermann ist das nicht so schlimm: „Die Agenda ist nichts, was 1996 fertig ist, sondern der Anfang des Wegs.“

Auch andere müssen zurückstecken. Wie man aus dem Berliner Senat hört, hat Umweltsenator Hassemer seine Agenda 21 zum schnöden Entwurf degradiert. Womöglich hat er eingesehen, daß die externe Zuarbeit von Journalisten keine Bürgerbeteiligung ist.

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