: „Massiven Druck ausüben“
■ Interview mit Ivana Nizić, Leiterin der Balkan-Abteilung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch/Helsinki
taz: Die Kooperation mit dem internationalen Kriegsverbrechertribunal haben alle drei Verhandlungsparteien in Dayton zugesichert – zumindest auf dem Papier. Was muß geschehen, damit dieses nicht Makulatur wird?
Nizić: Unsere Hauptkritik richtet sich gegen den Umstand, daß man dem serbischen Präsidenten Milošević die unmittelbare Aufhebung der Sanktionen zugesagt hat. Das darf aber erst geschehen, wenn Milošević tatsächlich bewiesen hat, daß er sich an seine Zusage, die Untersuchung von Kriegsverbrechen zuzulassen, hält.
Wie soll sich der Westen da bei Kroatien verhalten?
Ebenfalls massiven Druck ausüben – in diesem Fall über die zugesagte Wiederaufbauhilfe. Die kann nicht einfach gewährt werden, solange Kroatien nicht mit dem Tribunal kooperiert, das inzwischen ja auch gegen mehrere kroatische Offiziere Anklage erhoben hat. Einer wurde ja daraufhin von Tudjman befördert. Da stehen vor allem die USA und Deutschland aufgrund ihrer Beziehungen zu Zagreb in der Verantwortung – und wir werden das in einem Brief an die Außenminister Christopher und Kinkel zum Ausdruck bringen.
Inwieweit sollen die internationalen Friedenstruppen dabei auch Polizei spielen und Haftbefehle ausführen?
Wir haben genau das zuletzt in einem Brief an Richard Holbrooke gefordert. Das Mandat der internationalen Truppen zur Umsetzung des Friedensabkommens muß die Verpflichtung beinhalten, die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals zu unterstützen, Beweise für Menschenrechtsverletzungen sicherzustellen sowie Personen, die das Tribunal wegen Kriegsverbrechen angeklagt hat, festzunehmen und dem Tribunal zu überstellen. Wir fordern keine Verfolgungsjagden, wie man sie damals im Fall Aidid in Somalia unternommen hat. Doch in dem Moment, wo ein vom Tribunal Angeklagter gewissermaßen in Reichweite der internationalen Friedenstruppen auftaucht, müssen sie ihn festnehmen und an das Tribunal überstellen. Nach unseren Informationen ist das auch Teil des Abkommens.
Das vorläufige Abkommen von Dayton beruht darauf, daß man Slobodan Milošević, den Haupturheber dieses Krieges und der dabei begangenen Verbrechen, zum Staatsmann und Verhandlungspartner umdefiniert hat ...
Wir beziehen in dieser Debatte keine Stellung dazu, ob es richtig oder falsch war, mit Milošević zu verhandeln. Fakt ist: Milošević ist Verhandlungspartner, und man hat ihm die Hand geschüttelt. Wir halten es für notwendig, daß das internationale Kriegsverbrechertribunal gegen Milošević ermittelt.
Daran ist der Westen nun offensichtlich nicht interessiert. Kann sich Richard Goldstone, der Chefankläger des Tribunals, solchem politischen Druck entziehen?
Nach meiner Einschätzung hat Goldstone sehr deutlich gemacht, daß er sich nicht an politische Vorgaben, sondern an juristische Prinzipien hält. Fürchten muß er sich davor, daß dem Tribunal entweder der Geldhahn abgedreht oder seine Existenz in der Öffentlichkeit bald obsolet erscheinen wird, weil man die Konfliktparteien nicht gezwungen hat, Angeklagte dem Gerichtshof zu überstellen. Interview: Andrea Böhm
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