piwik no script img

Jetzt wird der Sparhammer ausgepackt

Finanzkrise ohne Ausweg: Ein neuer Senat wird gesetzliche Leistungen abschaffen. Diepgen spricht erstmals von einem Haushaltsstrukturgesetz. Die SPD will den Sozialstaat retten  ■ Von Dirk Wildt

Wenn einem plötzlich ein Zehntel des Gehalts gestrichen würde, hätte man ein Problem. Schließlich könnte man nicht für Miete, Versicherungen, Steuern oder Kredite einfach zehn Prozent weniger bezahlen. Auch wäre es in den seltensten Fällen möglich, sofort in eine kleinere Wohnung zu ziehen oder sein Auto zu einem guten Preis zu verkaufen. So wäre man gezwungen, in den ersten Wochen am Geld für Lebensmittel, Kino, Theater und Klamotten oder am nächsten Urlaub zu sparen. Wobei man hier nicht nur ein Zehntel der Ausgaben streichen müßte, sondern auch zusätzlich jenes Zehntel, das man bei den Überweisungen an den Vermieter, an die Versicherung und an das Finanzamt nicht abziehen kann. Jedem ist ersichtlich, daß eine solche Gehaltskürzung den Lebensstandard senken würde. Abrupt und spürbar.

Berlin ist eine Stadt – kein einzelner Mensch und erst recht kein Lohnempfänger. Doch die Lage, in der sich der Haushalt des Bundeslandes befindet, ist durchaus mit dem Konto einer Familie vergleichbar, der die Einkünfte gekürzt werden. Um 4 Milliarden Mark muß das Land seine Ausgaben reduzieren – jede zehnte Mark ist eine zuviel. Das Problem: Drei Viertel der gesamten Ausgaben von 44,04 Milliarden Mark im kommenden Jahr sind Fixkosten – Zahlungen aufgrund gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen wie Löhne, Sozialhilfe, Wohnungsbauförderung und Zinstilgungen.

Doch auch von den restlichen 10,71 Milliarden Mark können nicht plötzlich 4 Milliarden Mark dauerhaft gestrichen werden. Das nämlich hieße: Der Feuerwehr geht der Sprit aus (jährliche Kosten: 1,65 Millionen Mark), die Maurer legen an der 20 Millionen Mark teuren Fachschule für Sozialpädagogik in Hellersdorf die Kelle aus der Hand (Ersparnis 1996: 10 Millionen Mark). Die Telekom dreht in Senatsverwaltung und Rathäusern den Telefonen den Saft ab und kassiert die Frankiermaschinen ein (jährliche Ersparnis: 124 Millionen Mark).

Tatsächlich kann Berlin nicht jede Ausgabe minimieren, die von diesem theoretisch sofort verfügbaren Viertel der gesamten Landesausgaben bezahlt wird. Eine Hälfte davon wird in Investitionen und in ihre Förderung gesteckt, von der anderen Hälfte werden Sachausgaben wie Mieten, Gebühren, Gas-, Wasser-, Strom- und Heizungskosten, Bücher, Reinigung, Dienstkleidung und so weiter bezahlt. Würde Berlin überhaupt keinen Bau mehr beginnen – keine Kita, keine Schule, kein Krankenhaus, kein Polizeirevier, keine Brücke –, würde das Land im kommenden Jahr lediglich knapp 300 Millionen Mark sparen. Der Löwenanteil der rund 5 Milliarden Mark für Investitionen fließt nämlich in Projekte, die bereits im Bau sind. Je mehr Projekte fertig würden, desto mehr würde in Zukunft zwar gespart, doch würde dies neben den sozialen Problemen ein weiteres finanzielles Loch in die Kasse reißen. Gesetzlich ist vorgeschrieben, daß die Höhe der Kredite (1996: 6,1 Milliarden Mark) nicht die Höhe der Investitionen überschreiten darf. Damit soll verhindert werden, daß die heutige Generation auf Kosten ihrer Kinder lebt. Trotzdem hat die Große Koalition wiederholt dieses Gesetz gebrochen. Eine von den Grünen und der FDP angedrohte Klage scheiterte bislang am Widerstand der PDS – bislang mußte ein Drittel des Parlaments einer solchen Klage zustimmen.

Werden also die Bauarbeiten an der Wasserstadt Oberhavel, an den Tiergartentunneln oder am über 200 Millionen Mark teuren Polizeigebäude am Tempelhofer Damm (Bauabschnitt 1996: 50 Millionen Mark) eingestellt, schrumpft auch die Summe der Kredite, die neu aufgenommen werden dürfen. So fallen beim Sparen von Ausgaben auch die Einnahmen. Die Katze beißt sich in den Schwanz.

Die Einnahmen fallen aber auch aus einem weiteren Grund, wenn Berlin Neubauten von der Liste streicht. Der Bau von Hochschulen etwa wird zur Hälfte vom Bund finanziert, und an den Kosten für Eisenbahnbrücken ist die Bahn AG beteiligt. Verzichtet Berlin auf diese Projekte, gehen dem Land zusätzlich die Bundeszuschüsse verloren. Experten schätzen, daß an den 10,71 Milliarden Mark für Sachausgaben und Investitionen höchstens ein Zehntel gespart werden kann. Mehr ist nicht drin. Wenn die neue Landesregierung mehr sparen will, muß sie Verträge kündigen, Gehälter kürzen und Gesetze ändern.

Noch eiern die Politiker der Großen Koalition herum, wenn sie Sparvorschläge machen wollen. So behauptet die SPD-Spitze, mit ihr werde es „keinen voreiligen“ Verkauf von Bewag-Anteilen geben, auch werde sie keine Anteile von Wohnungsbaugesellschaften veräußern. Bis zu dem dritten Sondierungsgespräch von CDU und SPD vorgestern abend war die gemeinsame Sprachregelung beider Parteien, daß sie anderseits aber eine Erhöhung der Neuverschuldung „nicht ausschließen“. Am Mittwoch abend aber sagte erstmals der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) auch, man müsse an die gesetzlichen Leistungen „heran“. Auf Nachfrage räumte er unwillig ein, daß dies der erste Schritt auf dem Weg zu einem Haushaltsstrukturgesetz sei. In diesem Gesetz würden Senat und Abgeordnetenhaus ihre Ziele für die kommenden zehn Jahre formulieren.

Berlin hat zwei Möglichkeiten. Das Land kann versuchen, mit Bundesratsinitiativen Zahlungen einzuschränken, die Bund und Land Geld kosten, wie etwa das Wohngeld. Bei Leistungen allein auf Grundlage von Landesgesetzen genügen Gesetzesänderungen des Abgeordnetenhauses. Darunter fallen zusätzliche Leistungen bei der Sozial-, Jugend- und Familienhilfe wie die Hilfe in besonderen Lebenslagen oder die Versorgungsbezüge ehemaliger Senatsmitglieder (1996: 2,7 Millionen Mark), Lohnkostenzuschüsse bei ABM-Projekten, ein Teil der Entschädigungsleistungen für Kriegsopfer, die Zuschüsse an Privatschulen und die Kirche sowie die Bezüge für Abgeordnete und Bezirksverordnete.

Bei den vertraglich festgelegten Leistungen wie Gehältern, Vergütungen und Löhnen will Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) dauerhaft rund anderthalb Milliarden Mark sparen, indem er ein zweites Mal im öffentlichen Dienst 25.000 Stellen streicht. Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) hat bereits in den vergangenen vier Jahren in der Wohnungsbauförderung den Rotstift angesetzt und muß dies wohl ebenfalls ein zweites Mal tun. Die geplanten Entwicklungsprojekte werden auf ein Minimum zusammengestrichen – allerdings mit der unangenehmen Nebenwirkung, daß weniger Kredite aufgenommen werden dürfen.

Die Sozialdemokraten versprechen, sie würden den Abbau des Sozialstaates aufhalten. Vielleicht haben sie deshalb vermieden, von der Notwendigkeit eines Haushaltsstrukturgesetzes zu sprechen? Daß SPD-Politiker lieber darüber reden, wo sie nicht sparen wollen, ist ein Indiz dafür, daß die SPD die Haushaltslage entweder nicht begriffen hat oder ihre Haushaltsexperten drei Wochen vor dem entscheidenen Parteitag nicht die Wahrheit sagen wollen – die Basis könnte schließlich die Fortsetzung der Großen Koalition ablehnen.

Auch ins öffentlichen Bewußtsein scheint die dramatische Finanzsituation noch nicht gesickert zu sein. Dies war aber auch von der Großen Koalition beabsichtigt, haben CDU und SPD doch davor gezittert, bei den Wahlen im Oktober zu viele Stimmen zu verlieren. Insbesondere Finanzsenator Elmar Pieroth hat die unangenehme Spardebatte vermieden, obwohl seit langem bekannt ist, daß Berlin jährlich in Milliardenhöhe über seine Verhältnisse lebt. Die von ihm vor kurzem verhängte Haushaltssperre von zehn Prozent aller Zuschüsse offenbart nur seine Hilflosigkeit. Die Sperre, die soziale Projekte besonders hart treffen wird, ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, der in diesem Fall schon vor seinem Aufprall verdunstet. Der große Sparhammer wird erst ausgepackt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen