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Alle haben nur Bilder

Wem gehört Jerusalem? Eine kulturgeschichtliche Ausstellung über die Stadt der Städte sorgt in Berlin für Kritik  ■ Von Andrea Kern

Noch vor Beginn der diesjährigen Kulturtage, die die Jüdische Gemeinde Berlin schon zum neunten Mal ausrichtet, gab es heftige Kritik – und aus dieser für das Berliner Kulturleben schon zur Selbstverständlichkeit gewordenen Institution wurde ein Politikum. Kern des Streits ist das Thema der Kulturtage selbst: Jerusalem, die Stadt der Städte, vor allem aber die Stadt, auf deren symbolische Substanz gleich drei Religionen – die jüdische, die christliche und die muslimische – Anspruch erheben.

Wem gehört Jerusalem? Den Juden, deren zentraler symbolischer Bezugspunkt der einst in Jerusalem errichtete Salomonische Tempel ist, das erste Haus Gottes, in dem die Bundeslade mit den Dekalogtafeln aufbewahrt war? Den Christen, denen der Messias in Jerusalem starb, über dessen Heiligem Grab sie eine prächtige Kirchenanlage errichteten, das Zentrum aller christlichen Wallfahrten? Oder den Muslimen, die den heiligsten Ort Jerusalems weder im Tempel noch in der Grabeskirche sehen, sondern in dem vergoldeten Dom, den sie auf dem heiligen Felsen in Erinnerung an Muhammad errichten ließen, der dort, nach seiner legendären Reise auf einem geflügelten Reittier von Mekka nach Jerusalem, in den Himmel gefahren sein soll?

Die Frage, wem Jerusalem gehört, hat die Stadt nie religionsgeschichtlich beantwortet, sondern militärisch. Jerusalem gehört dem, der die Macht in Jerusalem hat. Die Geschichte der Symbole, die Jerusalem birgt, war deshalb auch immer eine Geschichte ihrer Zerstörung. Zweimal wurde der Salomonische Tempel zerstört, zunächst durch die Babylonier (589 vor unserer Zeitrechnung), dann nochmals durch die Römer (70 n.u.Z.). Auch die Grabeskirche wurde mehrfach niedergerissen und in veränderter Form wieder neu aufgebaut. Die Bundeslade hat man bis heute nicht gefunden.

Seinen Frieden hatte Jerusalem nie. Heute leben Israelis und Palästinenser gemeinsam in der Stadt, und doch scheint sie geteilter denn je. Vergangenen Freitag nun hat der israelisch-berlinische Publizist Tsafrir Cohen den Veranstaltern der diesjährigen Kulturtage im Berliner Tagesspiegel vorgehalten, sie würden mit ihrem diesjährigen Thema den labilen Friedensbemühungen in Israel nachgerade in den Rücken fallen. Die Jüdische Gemeinde in Berlin reihe sich damit ein in den Tenor der konservativen 3.000-Jahr-Feier Jerusalems, die von fast allen israelischen Intellektuellen boykottiert wird. Sie argwöhnen, daß es bei den Feiern allein darum geht, in einer Zeit politischer Instabilität den hegemonialen Anspruch der Juden auf Jerusalem kulturell zu demonstrieren und zu festigen.

Der Feuilleton-Chef der bekannten Tageszeitung Ha'aretz, Benny Ziffer, spricht von einem „aggressiven Akt“ zu einer Zeit, in der „ein in seiner Härte nie dagewesener Kulturkampf in Israel stattfindet“. Schon allein die Rede vom 3.000jährigen Bestehen Jerusalems sei das klare Signal der machtpolitischen Intention dieser Feier: beginnt doch die Geschichte Jerusalems nicht erst mit ihrer Eroberung durch David. Vielmehr war die Stadt, wie Keramikfunde belegen, schon vor 5.000 bis 6.000 Jahren besiedelt. Lokalhistorisch betrachtet ist die Datierung also Geschichtsklitterung. Der Schriftsteller Asher Reich geißelt sie als den Versuch, in das Bewußtsein der internationalen Öffentlichkeit „die falsche Tatsache zu implementieren, Jerusalem sei 3.000 Jahre lang eine jüdische Stadt gewesen, die von vorbeiziehenden Armeen und Völkern erobert wurde“.

Als nun am Dienstag in der Großen Orangerie des Charlottenburger Schlosses die Ausstellung „Die Reise nach Jerusalem“ eröffnet wurde, war die Stimmung aufgrund der vorangegangenen Presse-Kritik einigermaßen gereizt. Mit 570 Ausstellungsobjekten aus allen drei Kulturbereichen ist sie die umfassendste kulturhistorische Ausstellung, die es zu diesem Thema je gab, und eindeutig das Glanzlicht der diesjährigen jüdischen Kulturtage. Der Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde, Roman Skoblo, tat das Beste, was ihm in dieser Situation zu tun blieb: die Flucht nach vorn. Ja, die Ausstellung sei eine symbolische Geste, hieß es, aber keine der proisraelischen Propaganda, sondern eine, die im Gegenteil gerade die Wichtigkeit Jerusalems für alle drei Religionen behaupte.

Was das Konzept der Ausstellung betrifft, zielen die erhobenen Vorwürfe an ihren Autoren tatsächlich vorbei. Man ist offensichtlich darum bemüht, alle drei Religionen auf ihrem Weg durch die Geschichte Jerusalems in den sieben Etappen, in denen die Brüche und Umbrüche dieser Stadt dargestellt werden, zum Zug kommen zu lassen: in Form von Reliefs, Grabplatten, Gemälden, Stichen, Wandteppichen, Gefäßen, vor allem aber in Form von äußerst raren, aufwendig illustrierten mittelalterlichen Bibelausgaben. Der eigentliche Schwerpunkt der Ausstellung liegt in der Vielfalt der religiösen Symbolik Jerusalems, auf die sich die drei Traditionen wie auf einen immer wieder neu auszulegenden Text beziehen. Präsentiert werden die in den drei Kulturen entstandenen Bilder, die wir von Jerusalem haben. Auf diese Weise schlägt die Ausstellung eine Schneise weniger durch die Lokal- als durch die Rezeptionsgeschichte der Stadt.

Doch das Konzept, das sich um ein gleichberechtigtes Nebeneinander aller drei Religionen bemüht, geht nur in den beiden ersten und in der vierten Etappe wirklich auf. Hier wird jede Geschichte tatsächlich mindestens dreimal aus mindestens drei verschiedenen Perspektiven erzählt. Die Geschichte König Salomons etwa sehen wir in einem persischen Epos (1589) illustriert, in der berühmten Weltchronik des Nürnberger Humanisten Hartmann Schedel (1493) und in der katalanischen Roda-Bibel (11. Jahrhundert). Die Differenzen und Differenzierungen in den Illustrationen sagen tatsächlich mehr über die Religionen aus, weniger über die Stadt.

Dort, wo die Ausstellung darauf setzt, daß Jerusalem nicht der Ort einer historisch eindeutigen Rekonstruktion ist, sondern der Anlaß für eine ganze Reihe von Interpretationen und Visionen von nur fragmentarisch und ungewiß Überliefertem, zeigt sie, daß es auf die Frage, wem Jerusalem gehört, keine Antwort geben kann. Denn die Stadt lebt vor allem in den Bildern, die zu ihren Symbolen entstehen. In diesen, so scheint es, ist sie für die Religionen erst eigentlich bedeutsam. So treiben zahllose Spekulationen über den ersten Salomonischen Tempel das Mittelalter und noch die ganze Neuzeit um. Aus der Bibel läßt sich über den Bau praktisch nichts erschließen, die einschlägigen Textstellen widersprechen sich zum Teil sogar.

Jede Epoche machte sich in Rekonstruktionsversuchen ihr eigenes Bild vom Tempel. Die kunstgeschichtlich einflußreichste Rekonstruktion stammt von Juan Bautista Villalpando. Auf einem Kupferstich (um 1605) teilte er das Hofareal, ganz dem Stil der Renaissance verpflichtet, in neun gleich große Quadrate ein. Der Theologe Nicolaus de Lyra stellte sich dagegen (sein Holzschnitt stammt vermutlich aus dem Jahr 1481) die Fassade des Tempels eher mit romanischen und gotischen Formelementen vor. Auch die beiden Säulen aus der Vorhalle des Tempels, die im Buch der Könige Jachin und Boas genannt werden, tauchen im Dom zu Würzburg einmal als spätromanische Knotensäulen auf, auf einem Gemälde von François Nôme dagegen (1593) sind sie, vor dem Chor einer Kathedrale stehend, durchgehend gewunden.

Solange die Ausstellung sich auf ihr kunsthistorisches Prinzip verläßt, bleibt sie ihrem Anspruch treu, eine symbolische Geste der Verständigung zwischen den Kulturen zu sein. Jerusalem gehört keinem, alle haben nur Bilder. Um die dritte Etappe aber, in der es allein und ausschließlich um „die jüdische Jerusalemsehnsucht“ geht, würde man am liebsten einen großen Bogen machen. Hier kehrt sich auf einmal der Blick um, und es scheint, als gäbe es doch eine Religion, die ihre Wurzeln in Jerusalem tiefer geschlagen hat als die anderen. Der Zorn der Kritiker der Jüdischen Kulturtage wird sich hier bestätigt sehen. Das deutliche Übergewicht an jüdischen Exponaten, das die Ausstellung dadurch bekommt, verzerrt ihre eigentliche Intention. Gerade deswegen stört es um so mehr.

„Die Reise nach Jerusalem“. Bis 29. 2. 1996, Große Orangerie, Schloß Charlottenburg, Berlin. Katalog: Argon Verlag, 39 DM

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