piwik no script img

Die Korruption durchdringt das ganze Land

Als Ex-Diktator Roh Tae Woo schluchzend zugab, er habe über 900 Millionen Mark beiseite geschafft, entbrannte der Zorn der SüdkoreanerInnen. Doch Regierung und Wirtschaft fürchten die Aufklärung der Affäre  ■ Aus Seoul Simon Schenk

Eines der zahllosen Restaurants in Seoul verspricht Naengmynun, eine kalte Nudelsuppe, und Soju, den üblichen Reisschnaps, gratis für den Tag, an dem „der große Bandit Roh Tae Woo“ verurteilt wird. Seit der ehemalige Präsident gestand, über 654 Millionen Dollar Schmiergelder einkassiert zu haben, gibt es in Südkorea nur noch ein Thema: Wer steckt hinter dem Bestechungsskandal, und welche neuen Enthüllungen sind zu erwarten?

Die SüdkoreanerInnen warten gebannt – ob mit Freude oder Unbehagen – auf den Ausgang des Verfahrens: Denn es geht nicht nur um den unrühmlichen Fall eines korrupten Politikers, sondern auch um die politische Zukunft des ehemaligen Dissidenten und heutigen Staatschefs Kim Young Sam, der 1993 angetreten war, um Korea in eine demokratische und weltoffene Zukunft zu führen.

Zwar hatte Roh Ende Oktober im Fernsehen schluchzend zugegeben, daß er „die Erwartungen des koreanischen Volkes skrupellos enttäuscht“ habe. Zugleich aber entschuldigte er sich damit, daß es sich lediglich um die Fortsetzung einer in Korea „lange überlieferten politischen Praxis“ gehandelt habe.

Am selben Tag meldete sich ein anderer Politiker zu Wort: Kim Dae Jung, seit Jahrzehnten Galionsfigur der südkoreanischen Opposition und heute Vorsitzender der größten Oppositionspartei „Nationalkongreß für neue Politik“ (NCNP) und unterlegener Rivale des gegenwärtigen Staatschefs. Auch er habe für seine Kampagne vor der Präsidentschaftswahl 1992 zwei Milliarden Won, also etwa 3,6 Millionen Mark, aus der Kasse Rohs erhalten. Der Oppositionspolitiker erklärte, er habe das Geld angenommen, weil keine Bedingungen daran geknüpft gewesen seien. Er habe die Spende als versöhnliche Geste betrachtet – was keineswegs unglaubhaft wirken mußte: In Korea ist es nicht ungewöhnlich, daß auch politische Gegner mit Geldgeschenken bedacht werden.

Kim Dae Jung behauptete weiter, der gegenwärtige Präsident Kim Young Sam habe ein Vielfaches dieser Summe kassiert. Dieser hatte 1987 erfolglos gegen Roh Tae Woo kandidiert und war drei Jahre später überraschend ins Lager der regierenden Partei Roh Tae Woos übergewechselt, was ihm den Sprung in die Präsidentschaft ermöglichte.

Der koreanische Staatschef bestreitet die Vorwürfe des Oppositonspolitikers: „Wenn es Schmiergelder gegeben hat, wurden sie direkt in die Parteikasse gezahlt. Roh hat der Partei vor den Wahlen den Rücken gekehrt. Er wollte nicht, daß ich Präsident werde.“ Kim Young Sam ist der erste zivile Politiker, der an die Spitze des Staates gelangte. Seine Reformpolitik habe erst möglich gemacht, daß die Machenschaften des ehemaligen Generals Roh ans Tageslicht gebracht werden konnten, sagt der Präsident.

Dennoch fragt sich, wieweit das Interesse der Regierung Kim Young Sams geht, das ganze Ausmaß der Affäre zu durchleuchten. Vertreter von Bürgerinitiativen in Korea fürchten, die Nachforschungen der Staatsanwälte hätten lediglich Demonstrationscharakter und würden schon bald wieder im Sande verlaufen. Immerhin hatte Kim sein Amt im Februar 1993 mit dem Anspruch angetreten, die südkoreanische Politik zu entmilitarisieren, die Wirtschaft zu liberalisieren und die Gesellschaft vom uralten Übel der Korruption zu befreien. Nachdem ein Gesetz erlassen wurde, wonach Bankgeschäfte und Konten nur unter wahrem Namen geführt werden dürfen, wurden alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst dazu gezwungen, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen. Folge: Plötzlich kamen immense illegale Summen zum Vorschein. Tausende hochrangiger Funktionäre mußten den Hut nehmen.

Der Präsident schützt seine Vorgänger

Die Ex-Diktatoren Roh Tae Woo und sein Vorgänger Chun Doo Hwan aber schienen stets unter dem besonderen Schutz ihres einstigen Widersachers zu stehen. Trotz massiver Studentenproteste weigerte sich Kim Young Sam beharrlich, seine Vorgänger vor Gericht zu stellen und für ihre nachweislichen Verfehlungen in der Zeit der Militärdiktaturen zur Rechenschaft zu ziehen. Als Generäle waren beide maßgeblich an der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung in der rund 250 Kilometer südwestlich von Seoul gelegenen Stadt Kwangju, der Heimat Kim Dae Jungs, im Mai 1980 beteiligt. Nach Regierungsangaben kamen damals 200 Demonstranten ums Leben, oppositionelle Kreise hingegen sprechen von wenigstens 2.000 Opfern.

Kim Young Sam plädierte seit Beginn seiner Amtszeit dafür, ein Urteil über das Massaker von Kwangju „der Geschichte zu überlassen“ und keine unüberlegte Rache zu üben. Erst Ende September war es deshalb wieder zu landesweiten Protestaktionen und tagelangen Straßenschlachten zwischen Studenten und der Polizei gekommen. Mitte Oktober erklärte Roh Tae Woo die Ereignisse in Kwangju im Vergleich mit der chinesischen Kulturrevolution für „nichtig“. Schließlich seien damals in China Hunderttausende getötet und die Verantwortlichen niemals wirklich bestraft worden. Empört waren diesmal nicht nur aufrührerische Studenten, die allzu gern der Konspiration mit dem kommunistischen Nordkorea verdächtigt werden, sondern auch die braven KoreanerInnen.

Vor dem imposanten Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft in Seoul warten täglich schwarze Luxuslimousinen Marke „Hyundai“ und mit ihnen die Fahrer der Konzernchefs, die über ihre Rolle im Bestechungsskandal Rechenschaft ablegen müssen – unter ihnen Samsung-Boss Lee Kun Hee und Hyundai-Gründer Chung Ju Yung, der bei den Präsidentschaftswahlen 1992 immerhin 16 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte. 334 Konzerne sollen „großzügige Spenden“ von mehr als 10 Milliarden Won an Roh Tae Woo geleistet haben, um staatliche Aufträge zu erhalten.

Insgesamt könnten rund 200 Firmen in den Skandal verwickelt sein, vermuten südkoreanische Journalisten. Ganze 30 Milliarden Won, etwa 54 Millionen Mark, machte, den Angaben der Staatsanwaltschaft nach, Hyundai-Chef Chung Ju Yung locker, um Aufträge zum Bau mehrerer Atomkraftwerke an Land zu ziehen – für Chung eine Kleinigkeit, denn schließlich erwirtschaftet sein Imperium ein Fünftel des südkoreanischen Bruttosozialproduktes.

Am Tag nach der Verhaftung Rohs folgte ihm sein enger Mitarbeiter und Ex-Geheimdienstchef Lee Hyun Woo ins Gefängnis. Er steht unter dem Verdacht, einen Teil des Schmiergeldfonds gemanagt zu haben.

Strafbar sind nur die Schmiergelder, die nach November 1990 gezahlt wurden, denn das koreanische Gesetz sieht eine fünfjährige Verjährungsfrist vor. Roh Tae Woo allerdings, so bekräftigte der leitende Staatsanwalt Ahn bei seiner täglichen Pressekonferenz am Samstag, wird für jeden nachgewiesenen Fall zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Reporter einer großen in Seoul erscheinenden Tageszeitung findet deutliche Worte: „Natürlich hat auch Präsident Kim Young Sam für seine Wahlkampagne von Roh große Summen erhalten. Schließlich waren beide in derselben Partei. Es wird kaum möglich sein, das zu beweisen, aber wir alle sind davon überzeugt. Außerdem wollte Roh Tae Woo sichergehen, für seine Vergehen nicht unter der neuen Zivilregierung bestraft zu werden.“

In Korea habe es eine jahrzehntelange Bindung von Militär und Industrie gegeben, erklärt er. Geldgeschenke an Politiker seien nie als unmoralisch oder gesetzeswidrig angesehen worden, sondern waren ein selbstverständliches Mittel zur Wahrnehmung der beiderseitigen Interessen.

Sein Kollege geht noch einen Schritt weiter: „Die allgemeine Stimmung ist zur Zeit gegen Kim Young Sam gerichtet. Die Leute machen ihn für den Einsturz des Sampoong-Kaufhauses und andere Katastrophen in seiner Regierungszeit verantwortlich. Außerdem werfen sie ihm vor, die von ihm begonnene Reformpolitik nicht konsequent zu verfolgen. Während die Sympathien für Kim Dae Jung wachsen, hat der Zorn auf Roh Tae Woo mit dem Bestechungsskandal einen Gipfelpunkt erreicht, so daß der Präsident ihn aus Rücksicht auf seine eigene politische Zukunft unmöglich länger decken kann“, erläutert er. Ferner gebe es Gerüchte, daß konservative Kräfte anläßlich der für April 1996 anberaumten Abgeordnetenwahlen die Gründung einer neuen Partei beabsichtigten und die noch vorhandenen 185 Milliarden Won diesem Zweck zugute kommen sollten. „Es handelt sich also um ein existentielles Interesse des amtierenden Präsidenten, Parteispenden in Zukunft noch stärker zu kontrollieren“, fügt der Journalist hinzu, „aber wenn Roh die ganze Wahrheit sagt, dann ist auch die Ära Kim Young Sam bald zu Ende.“

So verständlich die Empörung der patriotischen Koreaner über ihren betrügerischen Ex-Präsidenten auch ist: Roh Tae Woo ist nur die oftmals zitierte Spitze des Eisbergs. Tugenden wie Verpflichtung, Zusammengehörigkeit, Dankbarkeit und Gegenseitigkeit spielen hier eine ungleich größere Rolle als in Europa. Geschenke dienen der Harmonisierung der beiderseitigen Beziehungen. Die Grenzlinie zwischen Dankesbekundung und Bestechungsversuch indessen ist nicht immer deutlich erkennbar: Es ist längst ein offenes Geheimnis, daß schon mancher ertappte Verkehrssünder den Kopf gegen Bargeld aus der Schlinge ziehen konnte, bevor es zur Anzeige kam.

Ursache für den Einsturz der Songsoo-Brücke im Oktober 94 und den Zusammenbruch des Sampoong-Kaufhauses im Juni 95, Tragödien, die Hunderte Menschenleben kosteten, waren Pfusch am Bau und Korruption. Wer Bestechungsgelder zahlt, spart diese eben beim Material und den Sicherheitsvorschriften wieder ein. Angesichts des Skandals um Roh Tae Woo treten nun auch reformfreudige Journalisten an die Öffentlichkeit und berichten über die „chonji“ genannten üblichen Zuwendungen von Politikern und Unternehmern für ein positives Presseecho: Geld, Geschenke oder eine Auslandsreise. Bei einer Umfrage des koreanischen Journalistenverbandes im Jahre 1990 hatten 420 von 700 Journalisten zugegeben, schon einmal bestochen worden zu sein. Wer nach dem Medizinstudium eine Assistentenstelle sucht, so berichten koreanische Studenten, wird häufig nur bei entsprechender finanzieller Gegenleistung erfolgreich sein. An ihre Schulzeit erinnert sich eine 22jährige Biologiestudentin: „Kurz vor dem Abitur haben meine Eltern dem Klassenlehrer einen Umschlag mit einer Million Won (etwa 1.800 Mark) gegeben. Andernfalls hätte ich nicht mit seinem Wohlwollen rechnen können. Unsere Generation aber will davon nichts mehr wissen“, erklärt die junge Frau.

Professor Moon Chung In ist Politologe an der renommierten Yonsei-Universität in Seoul. Auch für ihn ist der Skandal um Roh Tae Woo nur ein überdimensionales Abbild des koreanischen Alltags: „Nach außen wird das Verhalten Roh Tae Woos zwar allgemein verurteilt, im Grunde aber stehen die Koreaner harmloseren Formen der Korruption ambivalent gegenüber. Es gibt so viele, die in unmoralische Finanzangelegenheiten verstrickt sind. Das reicht bis in die untersten Gesellschaftsschichten.“ Korrupte Verflechtungen von Wirtschaft und Politik seien typisch für die vornehmlich an der wirtschaftlichen Entwicklung interessierten Regierungen in Japan, Taiwan und Korea, meint Moon. „Die koreanischen ,Chaebols‘ (oft in Familienbesitz befindliche, weit verflochtene Konglomerate) sind daran gewöhnt, für lukrative Aufträge und gesetzliche Protektion zu bezahlen.“

Und sein Kollege Prof. Yang Seung Ham ergänzt: „Es gibt ein kollektives Denken in der koreanischen Politik. Selbst wenn es sich um illegales Geld handelt, muß es an die Parteifreunde verteilt werden. Nur dann kann man sicher sein, daß niemand darüber spricht.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen