piwik no script img

Besitz verpflichtet

■ Ihren Standortvorteil verspielt die Wirtschaft selbst, wenn sie sich nicht massiv an der Computerbildung in Schulen beteiligt

Multimedia gilt als einer der Wachstumsmärkte der Zukunft. Doch Deutschland wird daran nur beteiligt sein, wenn frühzeitig entsprechende Qualifikation gesichert wird. Herbert Kubicek, Professor am Fachbereich Mathematik und Informatik der Universität Bremen, fordert vehement von der Wirtschaft, bei der Finanzierung nicht stets nach dem Staat zu schielen.

Ob es wirklich zu einem Massenmarkt kommt, darüber werden letztlich die privaten Haushalte entscheiden. Der Markt mag dabei das Problem der Preise und des Budgets, das ihnen für Medien zur Verfügung steht, vielleicht lösen. Aber kann er auch die Qualifikation gewährleisten? Können die Schulen die Medien- und Technikkompetenz vermitteln, die für die Nutzung interaktiver Medien erforderlich ist? Der Buchdrucktechnik verhalf erst die allgemeine Schulpflicht mit öffentlichen Schulen zu einem großen Markt. In den Schulen fehlt heute das Geld für traditionelle Lehrmittel. Wegen Geldknappheit fällt Unterricht aus. Auf Etats für Multimedia-PCs ist daher kaum zu hoffen, schon gar nicht für interne Netzwerke, Telekommunikationsanschlüsse, laufende Zahlungen an Netzbetreiber und Diensteanbieter und Personal für technischen Support.

Wenn die Wirtschaft bei jeder Gelegenheit Eigenverantwortung und weniger Staat fordert, ist es nicht konsequent, die Verantwortung für die Bildungsinfrastruktur allein dem Staat zuzuweisen. Die sonst so häufig als Beispiel für Deregulierung herangezogenen USA präsentieren sich hier ganz anders.

Im September haben eine Gruppe von Topmanagern der Computer- und Telekommunikationsindustrie sowie Präsident Clinton und Vizepräsident Gore versprochen, bis zum Jahr 2000 alle Schulen und Bibliotheken an das Internet anzuschließen. Längst hatten einige Unternehmen eigene Programme gestartet: So stellt Pacific Bell unter dem Titel „Education First“ 100 Millionen Dollar für Schulprojekte in Kalifornien bereit. Die auch für die Telekommunikation zuständige Aufsichtsbehörde für Versorgungsleistungen in Kalifornien hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um den Bedarf an Technikausstattung, Betriebs- und Personalkosten für eine Vernetzung aller 610 Schulen und Bibliotheken zu ermitteln. Der Investitionsbedarf wurde auf 1,9 Milliarden Dollar geschätzt. Nun wird über ein Finanzierungsmix beraten. Andere Bundesstaaten sind sogar schon weiter: In Georgia, Hawaii und Texas ist Bildungseinrichtungen ein Zugang zu interaktiven Breitbandnetzen zu bevorzugten Bedingungen einzuräumen, die Differenz zu den tatsächlichen Kosten wird aus einem Universal-Service-Fonds erstattet, in den alle Netzbetreiber einzahlen.

Die Industrie sieht sehr genau, daß diese Beiträge Investitionen in die zukünftigen Human Resources der Unternehmen und in die Erschließung neuer Märkte sind. In der deutschen Industrie scheint diese Einsicht noch nicht gereift zu sein. Zudem ist die selbstverständliche Einsicht in die soziale Verpflichtung des Eigentums hierzulande nicht weit verbreitet.

Vielleicht ist aber auch die Herausforderung durch die Politik noch nicht deutlich genug gestellt. Es hat den Anschein, als sollten nach dem Entwurf für ein Telekommunikationsgesetz die Lizenzen für Netzbetreiber verschenkt werden. Auch die Einrichtung eines Universalfonds geschieht eher halbherzig, wenn nur Unternehmen mit einem Marktanteil von mehr als fünf Prozent zur Einzahlung verpflichtet werden.

Der Staat muß nicht alles selbst machen. Dann aber braucht man andere Mechanismen, die wichtige Investitionen sichern. Da die Bildungsinfrastruktur ein entscheidender Standortfaktor der Bundesländer ist, könnte ein erster Schritt darin bestehen, ähnlich dem kalifornischen Beispiel zunächst eine Bestandsaufnahme und Bedarfsermittlung vornehmen zu lassen und anschließend verschiedene Finanzierungsmodelle zu erarbeiten. Die Gesellschaft für Informatik hat, unterstützt von der Telekom, mit der Initiative „Schulen ans Netz“ einen ersten Schritt getan. Der Weg muß nun erweitert werden. So leuchtet es nicht ein, um ein Beispiel für ungenutzte Finanzierungsmöglichkeiten zu nennen, daß die Kommunen ihre öffentlichen Wege unentgeltlich Netzbetreibern überlassen, um dann anschließend für ihre kommunalen Einrichtungen ebendiesen Netzbetreibern hohe Gebühren zu zahlen.

Dadurch aber wird eine dringend notwendige Phase des Experimentierens durch Lehrer und Schüler, mit verschiedenen inhaltlich-didaktischen Konzepten und verschiedenen Organisationsmodellen, fast unbezahlbar. Jedoch ließen sich erst danach allgemeine Modelle entwickeln. Fast alle heutigen Dienste und Werkzeuge des Internet sind aus einer solchen Experimentiersituation ohne laufenden Gebührenzähler hervorgegangen. Bei derartigen Experimenten können alle lernen – kaum jemand kann etwas verlieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen