Wand und Boden
: Die Erziehung der Menschen zu Massenmördern

■ Kunst in Berlin jetzt: Die rote Burg, Beth Moore Love, Marietheres Finkeldei

„Die Schätze der Alhambra“ sind als Museum nach Berlin importiert worden. Das Labyrinth der Burg mit all ihren Winkeln und Ornamenten: akribisch katalogisiert und in Vitrinen portioniert. Dem Haus der Kulturen der Welt war der Budenzauber aus maurischen Wunderkammern zu wenig zeitgenössisch. Deshalb wurden zehn KünstlerInnen aus Deutschland, Spanien und der arabischen Welt für eine Woche nach Granada geschickt, um Arbeiten zu konzipieren, die bis zum 3. März gezeigt werden. Jetzt hat der Alhambra-Komplex eine Ecke mehr, um die man die kulturellen Implikationen denken muß. Das ist genauso problematisch, schließlich reagieren die Beteiligten mit ihren Exponaten nicht auf die museale Inszenierung im Kulturforum, sondern auf eine Situation vor Ort. Wo aber ist die Alhambra wirklich?

Der in Essen lebende Fotograf Axel Hütte hat die Umgebung abgelichtet. In der Tat dominiert auf seinen Bildern das Licht: Weit sind die bergigen Steppen der Sierra Nevada, diesig lösen sich die Konturen der Landschaft am Horizont auf, während im Nahbereich jede blaue Blume scharf hervorsticht. Dazwischen ist Leere, mit viel Glück hebt sich einmal der Stier einer Veterano-Reklame von der Einöde ab. Zwangsläufig wird man an romantische Szenen erinnert, doch das ist gar nicht Hüttes Absicht. Die Monotonie geht auf menschliche Rodung zurück: Wo Steine das Bild bestimmen, standen früher Wälder. Das aber erklärt nur der Katalogtext, die Fotos sind zu makellos, um auf die Zerstörung der Natur schließen zu lassen.

Auch Choreh Feyzdjous Installation aus Leinwänden und Stahlrohren erschließt sich eher nicht. Die stets erdfarben übertünchten Gemäldeserien passen zwar ins Konzept der in Paris lebenden Iranerin, die seit Jahren endlos monochrome Bilderrollen, -knäuel und -teppiche produziert. Doch als Metapher auf die Alhambra wirkt die Arbeit erst mit dem Verweis auf die Herkunft der Künstlerin. Die parallele Situation – Künstlerin und Burg existieren fernab ihres Kontexts in der Fremde – ergibt zudem ein schiefes Bild. Die Isoliertheit Granadas ist touristisch voll erschlossen, und Feyzdjous Malerei lebt gerade nicht vom Exotismus, sondern vom Zusammenspiel mit der Moderne. Insofern sind Arbeiten viel interessanter, die sich konkret auf Gegenwart beziehen.

Der 1959 geborene Spanier Rogelio Lopez Cuenca hat einen rummeligen Souvenir-Shop in den Ausstellungsraum gebaut. Vom Tonband plärrt orientalischer Gesang, in der Ecke läuft ein japanisches Video über die Alhambra. Alle Geschichte ist zu Klischees erstarrt, die keine Kulturindustrie mehr versöhnen kann. Doch dabei beläßt Cuenca es nicht. Zwischen dem Trash der Zierteller und Kitschpostkarten hängen kleine Zettel, auf denen er die Geschichte der Mauren-Vertreibung durch die katholische Kirche nacherzählt. Am 20. Juli 1501 wurde ein Gesetz erlassen, das allen Gläubigen des Islam bei Todesstrafe das Betreten der Alhambra untersagte. Bereits 1511 wurden arabische Bücher verbrannt, 1566 wurde die Sprache verboten. Dem Mythos von der fremden Kultur mitten in Spanien geht ihre reale Zerstörung voraus. Davon erfährt man sonst nichts in den Arbeiten. Und plötzlich läßt sich der Satz „Das Paradies gehört den Fremden“, den Cuenca auf Plastikfolien hat drucken lassen, auf zweierlei Arten lesen. Das ist wenigstens ein Statement. Der Rest hat sich sichtbar wohl gefühlt, dort vor Ort.

Bis 3.3., Di.–So. 11–19 Uhr, John-Foster-Dulles-Allee 10

Beth Moore Love ist in New Mexico, auf dem Land, aufgewachsen. Jede rechtschaffene Civitas ist ihr eine monströse Zwangsgemeinschaft, in der Mord und Totschlag mühsam ausgespart oder verdrängt werden. Diejenigen, die trotzdem über den Tellerrand plumpsen und Amok laufen, werden entweder in Anstalten gebändigt oder vom Fernsehen zu Sensationen verarbeitet. Love verachtet diese Form der Erziehung zum Menschengeschlecht verhinderter Massenmörder zutiefst. Dagegen will sie mit ihren Gemälden und Zeichnungen Gewalt zeigen, die kein Entsetzen ordnet. Wie bataillesche Teenies stehen auf einem Bild zwei nackte Mädchen beieinander und flüstern sich etwas zu, während im Hintergrund vor der Scheune ein Mann seine Frau abmurkst. Rechts im Bild hängt eine weitere geschundene Leiche am Pflock. Die Szene heißt „A great secret among friends“ und spielt mit jener kindlichen Gleichmut, in der kein Gewissen das Grauen in Zaum hält. Love sieht ihre Figuren „in eine Ekstase“ versetzt, die sie aus Bedrohung und Schrecken herauskatapultiert.

Tatsächlich ist der Anblick abgetrennter Köpfe oder zerstückelter Körper Teil eines „wilden“ Codes, den zu knacken sich Maler wie Fragonard und Splatterfilmer seit „Texas Chainsaw Massacre“ redlich bemüht haben. Bei Love wird der Horror jedoch doppelt entrückt. Eingebettet in idyllische Landschaften aus dem 19. Jahrhundert, schimmert die Utopie einer unschuldigen Natur durch, in der diese Dinge passieren. Der Mord findet im Freien statt. Was bleibt, sind Bestien, die keine Moral beschützt, weder vor noch wegen ihrer Menschlichkeit. Kein Nietzsche ist, wer Böses denkt.

Bis 29.11., Di.–So. 16–19 Uhr, endart-Galerie, Oranienstraße 28

In den Objekten und Zeichnungen von Marietheres Finkeldei sind die Dinge alle ganz bei sich, und das ist ebenfalls merkwürdig. Die Künstlerin aus Bielefeld hält es mit Kafka statt Luhmann und will sich nicht darauf einlassen, daß ein System existiert außerhalb der Bezüge, die der Zufall der Wahrnehmung auslöst. Die bildnerische Sprache der Konzept-Kunst etwa hat da nur Schaden angerichtet. Also begeht Finkeldei den schmalen Grat zwischen Zeug und Poesie.

Aus demolierten Plastikwannen und Strumpfhosenresten entstehen „Handtaschen“, ein zerschnittener schwarzer Cowboystiefel wird zum „Autoradio“, mit dem das Stückchen zerschlitztes Leder zumindest das Material der Umhüllung gemeinsam hat. Andere Assoziationen führen vollends ins Leere: Der „Kaputte Zimmerspringbrunnen“ ist nichts als ein Einkaufswagen, den Vandalen auseinandergesägt haben. Finkeldei hat an solchen nutzlosen Dingen Spaß, weil sie mehr über Kunst besagen als jede Theorie. Die Wahrnehmung geht vom Gegenstand aus.

Dann wiederum erweist sie sich doch als eine Verwandte von Beuys, die Kultur allein erweitert begreifen mag. „Hose (ungebügelt)“ etwa ist eine kleine Zeichnung auf zerknittertem Papier, die Hose selbst von leichter Hand mit Bleistift skizziert. Zuletzt hängen „12 verschiedene Arten mit System die Blumen zu gießen“ und „12 verschiedene Arten mit System Kunst zu machen“ einander gegenüber, die sich nicht unterscheiden noch gleichen. Mag sein, daß sich ihr Gekritzel im Unendlichen begegnet, ansonsten soll sie doch Luhmann sezieren.

Bis 15.12., Mi.–Sa. 15–19 Uhr, Parkhaus Treptow, Puschkinallee5 Harald Fricke