Village Voice: Der Schaum der Tage
■ Teenage-Held auf Seitenpfaden: Alec Empires ambientöses Sound-Tagebuch „Low On Ice“
Alec Empire ist unser Mann in Techno-Land: Immer ganz vorne steht er an der Rampe und legt ungerührt warnend seine schmutzigen Finger in die eklig vor sich hin schwelenden Wunden des zwischen Kommerz und Avantgarde gespaltenen Techno.
Das kann er um so besser, als er schon selbst sehr früh aus Vergangenem seine Lehren ziehen mußte: Sein Haupt-„Projekt“, Atari Teenage Riot, sollte mal ganz heiß und angesagt als smashender Techno-Punk (aus)verkauft werden, doch so, wie die Dinge sich entwickelten, machten ATR nicht das, was die Phonogram wollte; man trennte sich, nicht einvernehmlich, aber ATR waren pfiffig genug, ausreichend Geld bei diesem mißglückten Deal für ein eigenes Label herauszuschlagen: Digital Hardcore Recordings. Da kommen jetzt die Sachen heraus, die „echter“ Techno sind, die das verkörpern, was Techno laut Alec Empire eben auch mal bedeutete, nämlich Aufruhr, Unzufriedenheit, Dissidenz; in diesem Fall Punk- und Breakbeat-Acts, die sicher auch nichts gegen einen Sturz der Mayday-Macher einzuwenden hätten.
Das ist die eine Seite des Alec Empire, die mit dem Punk- und Anti-Mainstream-Feuer – glamouröser, in Pop-Sprache, auch „Teenage Riot“ genannt; auf der anderen bringt der Mann seine eigenen, von ATR unabhängigen Alben bei Mille Plateaux heraus, einem Frankfurter Label, das „weniger im Techno- Kontext als in einem Experimentierfeld für Neue Elektronische Musik funktionieren soll“, wie sein Betreiber Achim Sczepanski mal gesagt hat.
Und so wie Techno sich bekanntermaßen über die Jahre hinweg immer mehr in einem traditionellen Pop-Kontext auflöste, bewegt sich Empire um so massiver davon weg, erfüllt er die Experimentiervorgabe mit seinem jüngsten Album „Low On Ice (The Iceland Sessions)“ mehr denn je: Zart verquere Geräusche und Töne dringen da aus den Boxen, kaum hörbare Beats, keine Breaks, mehr Momente als Gebrauchsmusik, kurzum: Ambientgeplucker, wie wir es besonders gern in den superereignislosen Nächten unseres Daseins ersehnen.
Auf „Low On Ice“ hört sich alles sehr unaufdringlich, irgendwie nicht wirklich präsent an, sind die meisten Sequenzen in der Tat extrem low, zum Wegdämmern und Sichauflösen – eigentlich mehr etwas für Momente, in denen man gar keine Musik hören möchte. Klingt gemein, darf aber ruhig als, äh, Aufsplitterung von Hörgewohnheiten gedeutet werden, ganz im Sinne der Erfinder, hier: der Mille-Plateaux-Leute.
Und so entzieht sich „Low On Ice“ jeglicher Verwertungs- (und auch Beschreibungs-!)Logik, läßt sich kaum für falsche, gar mit Pop in Zusammenhang zu bringende Zwecke ausbeuten – höchstens für den neuen Unterwasserfilm von Luc Besson. Konventionell aufgeteilt in Tracks ist das Album zwar noch, manchmal verzichtet Empire allerdings auf die Titelgebung. So haben die Stücke zwei und sechs nur noch Leerstellen, und der Rest heißt verschlüsselt 37.2 PT.1, 20 (2) oder 20 (3).
Aufgenommen während einer ATR-Tour in Island im August, in einem „portable studio“, kann man dies Album als gelungenes, tagebuchähnliches Abfallprodukt hören, als ein Spielchen mit Sounds; dann jedoch auch als ein Ausprobieren von Produktionsbedingungen, die es erlauben, schnell auf Entwicklungen zu reagieren, Spuren zu legen, andere zu verwischen und Statements durch eigene Arbeit rauszuhauen.
So wie allerdings „Generation Starwars“, Empires letztes Solo- Werk, davon handelte, „daß wir uns auf eine Gesellschaft zubewegen, die schlimmer ist als das Dritte Reich, und zwar von der medialen Kontrolle, von den manipulierten Wahrnehmungsweisen her“, bleibt beim Hören von „Low On Ice“ manchmal der fade Eindruck, daß auch doofer Eskapismus oder blöde Esoterik in seinen Zusammenhang geschmissen werden kann. Gerrit Bartels
Alec Empire: Low On Ice (The Iceland Sessions), Mille Plateaux/Efa
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